Beerot Jitzhak in deutscher Sprache Nr 1 (Tschuwa)

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[1] Vor dem Eintreffen des Moschiach (Ikveta deMeschicha) Teil 1

Verfasst von Raw Elchanan Bunim Wasserman הי´´ד

Der Artikel „Vor dem Eintreffen des Moschiach“ (Ikveta deMeschicha) wurde erstmals 1937 in Jiddisch verfasst und Anfang 1939 publiziert. Dieser führt die Meinung der Torah in Bezug auf politische und soziale Prozesse der Gegenwart auf. Er wurde gleich in Hebräisch übersetzt, später in viele andere Sprachen.


Einleitung

Die Epoche, die wir jetzt erleben, ist einzigartig, besonders in Bezug auf das Leben des jüdischen Volkes. Wir sind Zeugen von einem unerwarteten Phänomen. Die Geschehnisse dringen blitzschnell in unser Leben ein und lassen uns bestürzt und verständnislos zurück. „Du wirst den Verstand verlieren, von dem was dir offenbart wird“ (Dwarim, 28:34). Was wird hier besprochen? Es geht um die Anschauung der Geschehnisse, die auf menschlichem Verstand beruht. Aber sobald wir uns in die Torah vertiefen, wird alles klar und offensichtlich. Sowohl die Ereignisse der jüdischen Geschichte, die bereits geschehen sind, als auch diejenigen, die geschehen werden, hat die Torah vorhergesehen. Jedes Wort der Torah ist Realität, wahre Realität, derartige Beschreibung der Realität gibt es nicht noch einmal auf der ganzen Welt. Vor tausenden von Jahren wurde vorausgesagt: “Und der Ewige wird dich unter alle Völker von einem Ende der Erde bis zum anderen zerstreuen“ (Dwarim 29:64), und diese Prophezeiung wurde Realität. Wenn es bis jetzt noch entfernte Winkel der Erde ohne jüdische Bevölkerung gab, sind Flüchtlinge heutzutage auch dorthin gelangt. Unvermeidlich müssen sich die Worte „unter alle Völker“ erfüllen. Wenn wir das Wesen der uns ereilenden Geschehnisse verstehen wollen, müssen wir uns an die Torah wenden, an die Beschreibung der Ereignisse in der Zeitspanne direkt vor der Ankunft des Moschiach, d. h. die Zeit zwischen Vertreibung und Erlösung. Und wenn wir das Geschriebene mit den Ereignissen vergleichen, dann stellen wir fest, dass die Torah wie ein Zauberspiegel alle Geschehnisse und ihre Ursachen wiederspiegelt. Alles in diesen Versen Besagte ging in Erfüllung und alles was in Erfüllung ging wurde von Propheten vorhergesehen. Also beginnen wir, die Torah zu lesen.

Vor dem Eintreffen des Moschiach

1. In der Geschichte des jüdischen Volkes muss man einige Zeitspannen anmerken: Tanaim, Amoraim, Savoraim, Gaonim, Kommentatoren usw. Die Letzte Zeitspanne ist als „Ende der Tage“ bekannt. Der Talmud nennt diesen Abschnitt „Ferse des Moschiach“ oder „Leiden des Moschiach“. Der Begriff „Ende der Tage“ schließt die Zeit unmittelbar vor der Erlösung und die Erlösung selbst ein, während die Begriffe „Ferse des Moschiach“ oder „Leiden des Moschiach“ nur die Zeit vor der Erlösung einschließen. Rambam schreibt über diese Zeit: „Alle Worte von Propheten sind voll mit Erwähnungen dieser Zeit“. Und tatsächlich, sowohl in der Torah selbst, als auch in den Propheten sind die geistige und die materielle Lage des Volkes Israel in diesen Tagen beschrieben. Im Buch Daniel (12) steht, dass die Verfolgung unseres Volkes in diesen Tagen alles übersteigt, was mit dem Volk während seiner ganzen Geschichte geschehen ist. D. h. auch das Unheil in der Zeit der Zerstörung des Tempels. Das gleiche steht im Buch Jirmijahu (30). Unsere Weisen, s“l, die die bedrohliche Natur dieser Zeit vorhersehen konnten, drückten sich folgendermaßen aus: „Er soll kommen, und ich soll ihn nicht sehen“ (Sanhedrin 98 und Ende Sota) – Der Moschiach soll kommen und wir sollen nicht die Zeugen seiner Ankunft werden. Der Wilner Gaon schreibt, dass die Erlösung eine Geburt genannt wird: „sie ist krank und hat die Zion geboren“ (Jeschajahu 66:8). In dieser Zeit wird das jüdische Volk neu geboren. Genau so wie die Schmerzen – die Geburtswehen – die Geburt einleiten, genauso werden auch die „Leiden des Moschiach“ die Erlösung einleiten. Genauso wie die Wehen, die immer stärker, vor der Geburt werden, werden auch die Leiden immer stärker. Die gleiche Lage gab es auch in Ägypten. In der letzten Zeitspanne der ägyptischen Sklaverei, hat der Pharo die Sklavenarbeit erschwert: „Stroh wird deinen Knechten nicht geliefert, und gleichwohl sagt man zu uns: Schaffet Ziegel!“ (Schmot 5:16). Und auch heutzutage gibt es Länder, die den Juden die Verdienstmöglichkeiten entziehen und gleichzeitig übermäßige Steuern auferlegen.

Das Lied Aasinu (Höret zu)

2. Das Lied Aasinu ist der einzige Torah-Abschnitt, der eine Einleitung (Dwarim 31:19-21) und einen Abschluss (Dwarim 32:46) hat. Dieser Umstand unterstreicht seine große Wichtigkeit. Im Lied geht es um alles, was mit dem Volke Israel vor dem Eintreffen des Erlösers geschieht. Einige Verse, die wir hier zusammen mit dem Raschi-Kommentar anbringen, behandeln Die Zeit unmittelbar vor Moschiach‘s Ankunft. „Dann schafft der Ewige seinem Volke Recht, erbarmet sich seiner Diener“ (Dwarim 32:36). Nachdem das Volk Israel von Leiden heimgesucht wird, die der Ewige zugesprochen hat, erfüllt sich auch „Erbarmet sich seiner Diener“ d. h. es kommt die Erlösung. Wann wird dies geschehen? In der Stunde, wenn der Ewige sieht, dass die Kräfte seines Volkes versiegen und das Volk keinen Erlöser und Erretter hat, dann schickt er seinen gerechten Moschiach. Darüber spricht auch der Prophet: „Ich schaute, und es gab keinen Helfer, verstummte – und es gibt keinen Unterstützenden, und meine Rechte rettete mich“ (Jeschajahu 63:5), „Und er sah, dass es niemanden gibt“, d. h. es gibt sogar niemanden, der für sie betet. „Und Ich werde sagen, wo ist ihre Gottheit, wo ist ihr Bollwerk dem sie ihre Hoffnung zugeneigt haben? “ – der Ewige fragt: wo sind die Götzen, auf die ihr gehofft habt, dass sie eure Beschützer sein werden, Götzen, denen ihr die besten Opfer gebracht habt? Sie sollen aufstehen und euch helfen! Alle diese Verse besagen, dass am Vorabend der Erlösung die Juden zwischen den Götzen umherirren werden. Was sind die Götzen, denen man gedient hat? Als erstes müssen wir den Begriff „Avoda Sara“ (Götzendienst) verstehen. Jedes Phänomen, das dem Menschen unabhängig vom Willen des Ewigen erscheint und eine Fähigkeit besitzt den Menschen zu Beschenken oder ihm zu schaden definiert man als Götzendienst. „Dieser hilft und dieser schadet“ (Sanhedrin 67a). Lasst uns genauer die im letzten Jahrhundert verbreiteten verschiedenen Götzendienste betrachten. „Die Berliner Aufklärung“ oder besser gesagt „die Berliner Verdummung“ (in Hebräisch ist es ein Wortspiel: beide Wörter werden gleich ausgesprochen: Askala) – das ist es, von dem man die Rettung erhofft hat. Sobald der Liberalismus aufgetaucht ist, haben sich die Juden in den ersten Reihen aufgestellt. Nach dem Ende des Liberalismus dienten die Juden dem Demokratismus, dem Sozialismus, dem Kommunismus und anderen „-ismen“, die sich in Überfluss auf unsere Generation ergossen haben. Diesen Götzen hat man viele Opfer gebracht, man hat ihnen sein ganzes Hab und Gut und sogar sein Leben geopfert. Sie alle haben die Erwartungen getäuscht, nichts von dem hat ihre Hoffnungen erfüllt. Mehr noch, alle diese „-ismen“ starben eines plötzlichen Todes. Sie verschwanden schneller, als sie auftauchten. Wie erklärt sich das? Im Jecheskel 29 steht, dass Ägypten bestrafft wird, „dafür, dass er als Stütze dem Israel gedient hat“, d. h. dafür, dass die Juden auf Ägypten gehofft haben. Wenn die Sache so ist, fragt sich dann, womit haben die Ägypter gesündigt? Darauf antwortet die Torah: jeder Götzendienst findet sein Ende und er verschwindet. „Über alle ägyptischen Götzen werde Ich richten“ (Schmot 12:12), „die Götzen werden ganz verschwinden“. Mit dem, dass die Juden auf Ägypter gehofft haben, haben sie die Ägypter zum Objekt des Götzendienstes gemacht. Vor unseren Augen spielte sich ein erstaunliches Schauspiel ab: In nur einer Nacht verschwanden in Deutschland 16 Millionen Sozialisten. Und welch ein Götzendienst ist es gewesen! Die Juden konnten sich nicht zurückhalten und haben dem mit voller Aufopferung gedient. Hofften auf sozialistische und kommunistische Ideen, die eine Hoffnung auf die Freiheit und Gleichheit brachten. Nun, die kommunistischen Regierungen haben es sehr anschaulich gezeigt, wie so eine „Freiheit“ und „Gleichheit“ aussehen. Jetzt haben wir uns davon überzeugt, dass alle Arten von Götzendienst, auf die wir bauten, enttäuschten und stellten sich bloß. Und der Ewige sagt: „Sie sollen aufstehen und euch helfen“. „Sehet, Ich bin euer G-tt“ – es ist der Moment gekommen, in dem ihr versteht, dass es außer Mir keinen Retter gibt. Aber viele weigern sich zu verstehen und klammern sich an die agonisierende Demokratie. Aber sie hilft auch nicht, da sie keine reale Kraft besitzt.

3. Abgesehen von allgemeinen „-ismen“ waren wir auch mit einem spezifischen jüdischen „-ismus“ „gesegnet“: jüdischer Nationalismus, welcher die materielle und vor allem die geistige Erlösung bringen sollte. Sein Ziel ist die Erneuerung des jüdischen Volkes, welches „den Staub der Generationen“ von sich abschütteln soll und verkünden soll, dass „der neue Jude nicht den Namen des Ewigen erwähnen muss“. Das Programm des jüdischen Nationalismus ist sehr einfach: man muss den Namen des Ewigen aus dem Hause Israel und aus den Herzen der Söhne Israels entfernen. Und wenn ihr fragt: wer steht uns zur Seite in der Stunde der Not?, dann bekommt ihr die Antwort: wir selbst – „meine Kraft und die Feste meiner Hand“! Wer sind diese „wir“? Das sind die Anführer, national gestimmte Jugend, die Recken, die den Kampf des jüdischen Volkes gegen die Macht des Himmels führen. Bringen sie uns die Erlösung? Sie sollen lieber verstehen, dass es ihnen nicht gelingt, den König aller Welten aus unserer Umgebung zu entfernen. Es ist gar nicht schwer zu verstehen, denn Seine Kraft ist viel größer als ihre. Und wir tun es gleich den Narren, die die Schläge bekommen, und nicht den einfachen Narren, sondern „den halsstarrigsten Toren, die man lehrt und sie dabei nichts lernen“. Man lehrt und quält uns, aber unsere Ohren sind fest verschlossen und wir hören nichts. Es steht geschrieben “Zum Zion kommt der Erlöser, zu den von der Sünde abgekehrten Söhnen Jakovs“ (Jeschajahu 59:20). Mit der Sünde ist hier die Rebellion bzw. Ungehorsam gemeint, d.h. die Vorbedingung der Erlösung ist die Tschuva (die Reue) der Rebellen, die Rückkehr auf die Wege der Torah. Und solange unsere Anführer nicht aufhören gegen den himmlischen König zu rebellieren, fängt auch die Erlösung nicht an.

[2] Über Tschuwa

Basiert auf Materialien der Unterrichte des Raws Igal Polischtschuk

Indem wir uns den Feiertagen Rosch HaSchana und Jom Kippur nähern, ist es wichtig, für sich selbst den Begriff der Tschuwa zu erklären. Das Wort erscheint Vielen schon klar und gewohnt, obwohl es in Wirklichkeit nicht immer richtig verstanden wird.

Raw Schimschon Dowid Pinkus sagte, dass Schabbat die Zeit für Tschuwa ist. Ein Hinweis hierauf ergibt sich bei näherer Betrachtung des Wortes Schabbat (שבת), aus dessen Buchstaben die Wurzel des Wortes Tschuwa (תשובה) zusammensetzt.

Wie ist es möglich, wenn wir am Schabbat kein Widduj (Beichte) sagen? Ist denn Rosch HaSchana die Zeit der Reue, wo wir doch an diesem Tag auch kein Widduj sagen?

Die richtige Bedeutung des Wortes Tschuwa ist Rückkehr, das heißt die Rückkehr zu dem Zustand, von welchem wir oder unsere Vorfahren uns entfremdet haben. Diese Bedeutung beinhaltet unterschiedliche Aspekte.

In diesem Zusammenhang werden wir über Rosch HaSchana und Jom Kippur sprechen, die „Tage des Gerichts“ (Jamei Hadin) heißen, dazu heißt Jom Kippur noch „Versöhnungstag“. Die zehn Tage zwischen Rosh HaSchana und Jom Kipur heißen „Tage der Ehrfurcht“ (Jamim Noraim) oder „Zehn Tage der Tschuwa“.

Es gibt eine Halacha (praktisches Gesetz), die uns vorschreibt, die Gesetze der Feiertage schon dreißig Tage zuvor beginnen zu lernen. Das heißt, wir sollen uns schon dreißig Tage vor dem Feiertag auf ihn vorbereiten. Die Haupttage der Reue sind die Zehn Tage der Tschuwa, vor denen die dreißig Tage die Tage des Monats Elul sind. Wie sollen wir uns darauf vorbereiten? Rosch HaSchana und Jom Kippur sind besondere Tage. An jedem von ihnen arbeiten wir an verschiedenen Aspekten der Tschuwa.

Wir sollen aber erst verstehen, was der Sinn von Rosch HaSchana ist. Im Traktat „Rosch HaSchana“ (16a) steht geschrieben, „Sagte der Heilige, gelobt sei Er, „Sagt vor mir am Rosch HaSchana die „Königtum“ (Malchujot), „Gedenken“ (Sichronot) und „Schofarot“. Malchujot sind dafür da, damit ihr mein Königtum annehmt…“ Die Mitzwa des „Schma Jisrael“-Lesens haben wir nicht nur an einem Tag des Jahres, sondern zweimal jeden Tag, dessen Basis das Aufsichnehmen des himmlischen Königtums ist.

Am Rosch HaSchana darf man kein Widduj machen, während wir Widduj am Jom Kippur in jedem Gebet sagen.

Um den Unterschied zwischen diesen Feiertagen zu klären, wenden wir uns an das Kapitel Waera aus dem Buch Bereischit (21:17), in welchem wir über Awraham lesen, der Jischmael und seine Mutter Hagar vertreibt. Als Jischmael in der Wüste vor Durst beinahe gestorben war, betete Hagar zum Allmächtigen für die Rettung ihres Sohnes. Als Antwort darauf öffnete sich ein Wasserbrunnen.  Warum hatte G-tt Jischmael, der auch betete, erhört und die Söhne Israels, von denen viele während der Vertreibung durch Newuchadnezar vor Durst gestorben waren, nicht? Weil der G-tt die Stimme eines Knaben, „so wie er dort war“, gehört hatte. Im Traktat Rosch HaSchana (16a) steht geschrieben, „Sagte Rabbi Jizchak: Der Mensch wird nach seinen Taten in der (gegebenen) Stunde gerichtet“. Nach Raschis Meinung wird der Mensch nach seinen Taten in dem Moment gerichtet, ohne seine Taten in der Zukunft in Kauf zu nehmen. Nach der Meinung anderer Kommentatoren wird der Mensch nach seinem Zustand in dem Moment gerichtet. Raw Mosche Schapiro sagt, dass diese Stelle das Wesen der Tschuwa am Rosch HaSchana und davor klarstellt. Ich gebe hier ein Beispiel. Ein Mann, der nach Sankt Petersburg wollte, hat sich verirrt und fährt nun nach Moskau. Schon unterwegs merkt er seinen Fehler und wendet sein Auto in Richtung auf Sankt Petersburg. Er befindet sich noch nicht auf der richtigen Straße, aber diese Wendung zeigt schon die richtige Richtung für seinen weiteren Weg.

Im Traktat Kidduschin (49b) wird die Situation besprochen, als ein bekannter Bösewicht ein Mädchen mit folgenden Worten zur Frau nimmt, „Du bist mir gewidmet unter der Bedingung, dass ich ein vollkommen Gerechter bin“. Nach dem Gesetz muss man befürchten, dass sie ihm doch gewidmet ist, weil er möglicherweise in seinen Gedanken Reue empfunden hat, sogar wenn er kein Widduj gesagt hat und seine Sünden ihm nicht vergeben worden sind. Obwohl (u.a. von RaMBaM und Rabeinu Jona) angenommen ist, dass Sünden ohne Widduj nicht gesühnt werden, gibt es das Konzept des „gedanklichen Reue“. Wir lernen über dieses Stadium der Tschuwaaus den Gesetzen von Kidduschin (Widmung einer Frau) und sehen, dass unsere Weisen ihn sehr ernst betrachten – dieses Mädchen hatte einen Status als Ledige, aber die Absicht dieses Mannes überwiegt ihren Status.

Raw Mosche Schapiro erklärt diese Stelle folgenderweise: Es gibt einen Moment der Tschuwa, in dem der Mensch sich einfach umdreht, um sich in die richtige Richtung zu bewegen – Er nimmt auf sich den Willen des Schöpfers. Das ist genau, was es heißt „Auf sich das himmlische Königtum von dem Moment und für immer zu nehmen“. Solche Tschuwa definiert den Menschen als einen vollkommenen Gerechten, obwohl seine Sünden ihm noch nicht vergeben sind. Das macht keinen Unterschied, weil nach seinem Herzzustand, in dem Moment bewegt er sich in die richtige Richtung. Das ist die Bedeutung von Rabbi Jizchaks Aussage „Der Mensch wird nach seinen Taten in der (gegebenen) Stunde gerichtet“. Das heißt, es wird darauf geschaut, ob er auf sich das himmlische Königtum genommen hat oder nicht.

Das ist eine Art Tschuwa, wenn der Mensch, mit der Absicht weiter auf dem Weg der Gerechten (Messilat Jescharim) zu gehen, zurückkehrt. Aber eine solche Entscheidung reicht nicht. Es ist nicht nur, weil seine Entscheidung nicht fest genug ist, sondern auch weil die üblen Taten auf seinem Körper und seiner Seele Spuren hinterlassen hatten. Es gibt zwei Folgen der Sünde: sowohl die Bestrafung in dieser Welt und in jener Welt, wie auch der Stempel der seelischen Unreinheit, die uns weiter zu neuen Sünden treibt. Es ist bekannt, dass eine Mitzwa eine andere Mitzwa nach sich zieht, und wenn man ein Verbot übertritt, dies zur Übertretung eines weiteren Verbotes führen wird.

Unsere Weisen erklären es so, dass in dem Moment, in dem der Mensch eine Mitzwa tut, geht in ihn die Kraft der Heiligkeit hinein, die ihn weiter zum Erfüllen des Willens des Schöpfers treibt. Wenn er aber ein Verbot übertritt, geht in ihn der Geist der Unreinheit (Tuma) hinein, der ihn weiter antreibt, zu sündigen. Und diese Unreinheit kann man mit einer einfachen Entscheidung nicht aufheben. Trotz der Erwachung der göttlichen Seele in ihm, trotz der Entscheidung besser zu werden, ist diese Entscheidung noch nicht vollkommen. Seine Seele strebt nach oben, während seine Sünden ihn in die andere Richtung ziehen. Eine große Arbeit ist nötig, um Reinigung durch G-tt zu verdienen.

Reue, Widduj, Versöhnung ist das Wesen von Jom Kippur. Der Versöhnungstag hat zwei Seiten. Die erste Seite ist die, die von uns kommt: Das ist die vollkommene Reue über die gemachten Sünden, ein wahrer Cheschbon HaNefesch (Selbstüberprüfung) über die eigene Vergangenheit und der Widduj, der aus wahrer Anerkennung der eigenen Sünden, aus dem Scham und den Schmerzen über die eigene Vergangenheit, aus dem Schrei der Seele, die um Versöhnung und Hilfe bittet, damit sie nie wieder zur ihrem ehemaligen Zustand zurückkommt, besteht. Die zweite Seite ist die gewaltige Gnade des Schöpfers, der uns die Sünden vergibt und die Spuren der Sünden von uns entfernt. Wie im Traktat „Joma“ (85b) steht, „Sagte Rabbi Akiwa. „Wunderschön ist das Schicksal Israels! Wie die Mikwa die Unreinen reinigt, so reinigt G-tt Israel“. Darin besteht die besondere Größe des Jom Kippur, des Versöhnungstages. Für solche hochstehende Tschuwa ist es nicht genug, sich einfach vom falschen Weg (von der Sünde) abzuwenden, sondern man muss sich fest und sicher auf den Weg des Dienstes und Selbstverbesserung begeben. Man braucht Taten, die ihn reinigen und zu G-tt nahe bringen (den Widduj, die festen Entschlüsse, das Weinen usw.). Nur dann hat die Entscheidung des Menschen, auf dem richtigen Weg zu gehen, keine Hindernisse.

Diese zwei Arten der Tschuwa, die von Rosch HaSchana und die von Jom Kippur, sind inbegriffen in den Wegen, die uns zwei grundlegende Bücher über Selbstverbesserung offenbaren – „Messilat Jescharim“ von Raw Mosche Chaim Luzzatto und „Schaarei Tschuwa“ von Rabeinu Jona Gerondi.

„Messilat Jescharim“ lehrt, wie man sich auf den geraden Weg, Haschem zu dienen, begibt. „Schaare Tschuwa“ zeigt, wie man sich vollkommen vom Sündigen und vom Bösen entfernt. Es ist ein wunderbarer Brauch, vom Anfang Monats Elul bis Jom Kippur dem „Schaarei Tschuwa“-Lernen Zeit zu widmen. In allen Jüdischen Gemeinden sagt man im Monat Elul Slichot. In sephardischen Gemeinden sagen sie Slichot von Anfang Elul und Aschkenasim beginnen die Slichot einige Tage vor Rosch HaSchana. Der Sinn dieses Brauchs ist leakdim refua le-maka (der Krankheit mit dem Heilmittel zuvorzukommen), d.h. alle eigene Sünden zu bereuen und maximale Versöhnung zu erreichen, das Gewicht der eigenen Sünden als Teil der Sünden des ganzen Volkes noch vor dem Gericht zu erleichtern, die Sündenspuren von sich zu entfernen, damit wir rein und bereit zum Gericht kommen könnten, um das Königtum des Schöpfers auf uns zu nehmen.

[3] Der Monat Elul: Vorbereitung für die Tage des Gerichtes

Verfasst von Rav Josef Ovadja Zarudinskiy.

Eine aussagekräftige Anspielung auf das Wesen des Monats Elul finden wir in seinem Namen:

                              אני לדודי ודודי לי אלול

„Ich gehöre meinem Liebsten und mein Liebster mir.“
(Schir haSchirim, 6:3).

Und tatsächlich ist Elul ein Monat  der besonderen Nähe zum Allmächtigen, wenn die Reue, die Rückkehr und das Gebet Ihm besonders willkommen sind und eine besondere Kraft haben. Es gibt uns die einmalige Möglichkeit, uns auf die kommenden Tage des Gerichtes „Rosch haSchana“ und „Jom Kipur“ vorzubereiten, die Möglichkeit zu verdienen, in das Buch der Lebenden eingeschrieben zu werden.

Jedoch ist es kein großes Geheimnis, dass diese Tage von vielen ohne großen Enthusiasmus aufgenommen werden und sogar mit einigem Widerwillen. Wie ein junger Mann sich ausgedrückt hat: „Es wäre schön wenn man diese furchtbaren Tage überspringen könnte, und sofort zu Simchat Torah kommen könnte“! Diese Ansicht ist von vornherein falsch, denn die Freude der Seele ist vom Grad ihrer Reinigung in den Tagen des Gerichtes abhängig.

Was ist aber der Grund für eine solche Haltung? Oft bekommt man folgendes zu hören: „Kann ich denn etwas in mir ändern? Ich habe es schon oft versucht und es klappt nicht. Ja, die „Furchtbaren Tage“ verpflichten zur Selbstanalyse und zur Reue, aber ich krieg‘ sowas nicht hin“! Kommt aus, dass wir durch die Skepsis davon abgehalten werden, an uns zu arbeiten. Aber wenn man darüber nachdenkt, merkt man, dass hinter der scheinbar gerechtfertigten Skepsis etwas anderes steckt. Wir sind einfach nicht bereit, etwas in unserem Leben zu ändern und deswegen versuchen wir auf jede mögliche Art und Weise, alles so zu belassen, wie es ist. Wir handeln nach dem ominösem Prinzip: „Wenn die Trunksucht die Arbeit stört, dann schmeiß die Arbeit hin“!

Aber man sollte nicht den Mut verlieren! Dieses Problem ist nicht neu. Bereits Rabeinu Jona widmete in seinem fundamentalen Werk „Schaarej Tschuwa“ ein ganzes Kapitel den Faktoren, die den Menschen zur Reue und Rückkehr erwecken können. Kommt aus, dass es ohne diesen erweckenden Impuls tatsächlich sehr schwer ist, zur Tschuwa (Reue, Rückkehr) zu kommen. Deswegen muss man als erstes herausfinden, was als solch ein erweckender Impuls dienen kann. Die Antwort darauf finden wir in den Briefen von Raw Jisroel Salanter (Brief 7): „Natürlich ist es Schofar! Deswegen wurde es auch verordnet, in diesem Monat in Schofar zu blasen: „Kann es sein, dass in Schofar geblasen wurde und das Volk sich nicht erschüttert?“ (Amos 3)“. Schofar erinnert uns an die nahenden Tage des Gerichtes und hat deswegen die Kraft, uns vom Platz zu rücken.

Aber kann denn so ein kleiner Anstoß einen Menschen zwingen, sich zu ändern? In Wirklichkeit sehen wir, dass viele Juden artig dem Schofar den ganzen Monat Elul zuhören, und das hindert sie nicht daran, so zu bleiben, wie sie vorher waren. Raw Jisroel Salanter behandelt auch diese Frage: „Natürlich ist der Klang des Schofars allein ein kleiner Impuls, aber wenn wir ihn richtig anwenden, dann können wir Berge versetzen“! Auf welche Weise? „Wenn dich der Jezer haRa (der böse Trieb) gepackt hat, dann zehre ihn in ein Beit Midrasch (Lehrhaus). Wenn der böse Trieb wie Stein ist, dann wird er zerbröckeln, wenn wie Eisen, dann wird er schmelzen“ (Kiduschin 30b). Alles was wir tun müssen, ist den Jezer haRa, und genauer gesagt sich selbst ins Beit Midrasch zu schleppen! Rav Salanter sagt weiter, dass dafür der Klang des Schofars ausreichend ist. Und erst dort, im Beit Midrasch, wird sich das Schicksal des bösen Triebes in die richtige Richtung regeln.

Ist es denn wirklich so einfach? Ist der Mensch, der die Torah lernt, tatsächlich befreit vom bösen Trieb? Ist so etwas überhaupt möglich? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns an das Buch „Emuna uVitachon“ (Glaube und Hoffnung), welches von unserem Lehrer Chason Isch geschrieben wurde, wenden. Im Kapitel 3, 7 wird ausführlich beschrieben, welchen Einfluss das Torahlernen auf den Menschen hat: „Der Fleiß im Torahlernen hat die Fähigkeit, die Seele zu reinigen. Er macht sie fein und leuchtend. Er verleiht der Seele das Gefühl der Reinheit und Heiligkeit und gleichzeitig verwurzelt er im Herzen die Abneigung zum müßigen Frohsinn und zu den leeren (sinnlosen) Genüssen. Außerdem führt das fleißige Lernen der Torah zur grenzenloser Liebe und Bereitschaft, alle Gebote in kleinsten Einzelheiten hingebungsvoll zu erfüllen. Und die innere Stimme wird uns vorsagen, dass wir wegen diesem Lernen und Erfüllen erschaffen wurden“.

Wie wir sehen, ändert das Torahlernen gänzlich den Menschen, macht ihn geistig erhaben und der Torah ergeben. Als Folge wird der Mensch weniger durch die zahlreichen Versuchungen, die ihn umgeben, gefährdet. Das haben die Weisen auch gemeint, als sie den Sieg gegen Jezer haRa besprochen haben! Aber es gibt eine Bedingung, die Chason Isch unterstrichen hat: das Lernen muss fleißig sein, und gemeint ist: vertieft, mit dem Ziel, das Material richtig und in allen Einzelheiten zu lernen.

Kehren wir zurück zu der ersten Frage: ist es wahrlich möglich, die Tschuwa in der kurzen Zeit vor furchtbaren Tagen zu machen? Es sind doch so viele Sünden und so wenig Zeit und Willen. Die Antwort ist: ja, denn von uns wird sehr wenig verlangt: eine kleine Regung des Gewissens, welche durch den Klang des Schofars geweckt wurde, in die richtige Richtung zu leiten. Man muss die Möglichkeit für ernsthaftes und reguläres Torahlernen finden. Das wird unser erster und wichtigster Schritt zur vollständigen Sühne.

Die Redaktion der deutschsprachigen Ausgabe des Magazins «Beerot Jitzchak» würnscht allen Lesern und ihren Familien כתיבה וחתימה טובה!


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