Beerot Jitzhak in deutscher Sprache Nr 1(4)

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[1] Vonwort von Rav Jigal Polischuk

Liebe Freunde!

Vor zwei Jahren wurde ich für ein paar Tage nach Deutschland eingeladen, um einen Schabbat im Beit Midrasch Stuttgart zu verbringen und eine Reihe von Schiurim zu geben sowie nach Frankfurt zu fahren, um auch dort einige Schiurim zu geben. Ich bin schweren Herzens nach Deutschland gefahren… in das Land, das zur Quelle sowohl der geistigen, als auch der physischen Katastrophe unseres Volkes geworden war.

Es gibt aber auch „das andere Deutschland“, das den Namen für eine ganze Gemeinschaft gegeben hat – Aschkenaz, das zur Quelle der durch das Torastudium geheiligten Sprache Jiddisch wurde, das Land, in dem sich unser Volk würdig erwiesen hatte, die größten Toragelehrten hervorzubringen, das Land, in welchem Raschi gelernt hatte (Worms), das Land, in dem der Maharam aus Rothenburg begraben ist. Ein schrecklicher Ort der Pogrome und des Gemetzels einerseits und die Gemeinden von Worms, Speyer und Mainz, die großen Orte der Tora, die mit ihrem Leben, wie auch mit ihrem Tod den Namen von HaSchem geheiligt hatten andererseits. Ein schreckliches Bild – einerseits das Grab des Maharam von Rothenburg und andererseits, die Gräber deutscher Juden, die sich vom Bund unserer Väter im 19. Jahrhundert abgewandt hatten – auf demselben Friedhof. Unsere große Vergangenheit einerseits und eine Brandstätte des jüdischen Geistes und der jüdischen Körper andererseits.

Allerdings gibt es auch die Gegenwart: Juden in Deutschland verspüren heute ein besonderes Interesse, einen besonderen Wunsch, sich mit ihren eigenen Wurzeln auseinanderzusetzen. Mehr als das – diejenigen von ihnen, die bereits angefangen haben, sich mit dem Erbe ihrer Väter vertraut zu machen, verspüren einen besonders starken Hunger, einen besonders starken Durst nach der Tora. Und so war während der Seminare, die wir für Juden aus Deutschland in Deutschland und in Zürich durchgeführt hatten, die Anwesenheit der Schechina spürbar. Unser Hauptbetätigungsfeld ist zweifellos das russische Judentum. Es ist aber in Deutschland eine neue Generation herangewachsen, die auf Deutsch denkt und liest.

Angesichts dieser großen jüdischen Vergangenheit in Deutschland einerseits, der spirituellen Katastrophe andererseits und dem Verlangen der jüdischen Menschen danach, ihre Wurzeln zu finden, haben wir vor zwei Jahren einen Versuch unternommen die deutschsprachige Fassung von „Beerot Itzhak“ herauszubringen, an der unsere Freunde in Europa voller Hingabe gearbeitet haben.

Leider musste die Herausgabe damals unterbrochen werden.

Wir wollen nun zusammen mit unseren Freunden die Publikationen wiederaufnehmen. Die erste, genauer gesagt, die nächste Ausgabe soll zu Schawuot erscheinen, dem Tag, an dem HaSchem`s Tora unserem Volk geschenkt wurde. Jedes Jahr an Schawuot erfolgt die Übergabe der Tora aufs Neue. Die Tora-Übergabe umfasst zugleich unsere Vergangenheit, unsere Gegenwart und unsere Zukunft. Sie ist die Quelle unserer ständigen Wiederbelebung. Wir beten dafür, dass alle Gemeinden unseres Volkes zu ihren Wurzeln und zu ihrer Quelle zurückfinden, die lebendige Tora aufs Neue in sich aufnehmen und ihre frühere Blüte wieder erleben, damit sie neue große Tora-Gelehrte und Gerechte für unser Volk und für die ganze Menschheit hervorbringen können.

Mit großem Dank an alle, die diese Ausgabe ermöglicht haben, wünsche ich ein fröhliches und gesegnetes Schawuot-Fest

Jigal Polischuk

[2] Dass du bleibst a Jid!

Von Rav Jitzchak Zilber

Die Idee dieses Buchs entstand vor fünf Jahren (mittlerweile achtzehn). Innerhalb eines Jahres wurden an jedem Schabbatausgang die mündlichen Erzählungen von Rav Jitzchak Zilber niedergeschrieben. Später (nach der Zeit in Kasan) sind weitere Einschübe hinzugekommen, hier ergriffen auch lebende Zeitzeugen das Wort. Einige Zeit lang wurden die Informationen dann geprüft, ergänzt und überarbeitet, daher beziehen sich die Aussagen wie etwa „vor so und so vielen Jahren“ nicht auf das Jahr, in dem dieses Buch herausgegeben wurde, sondern auf den Zeitpunkt der erstmaligen Aufzeichnung der Erinnerungen.

[2-1] Vom Verfasser

Ich bin Carmela Rayz tief verbunden dafür, dass sie darauf bestanden hat, dieses Buch herauszugeben, sie hat mir auch unschätzbare Hilfe geleistet bei den Aufzeichnungen meiner Erzählungen und deren darauffolgenden Aufbereitung für den Druck. Außerdem möchte ich meinen tiefen Dank der Lektorin Viktoria Fridmann zum Ausdruck bringen für die professionelle literarische Bearbeitung und ihre unermüdliche Arbeit an diesem Buch.

[2-2] Vorwort

Ich habe nie vorgehabt, Erinnerungen zu schreiben. Ich war der Meinung, es ist nicht schön von sich selbst zu erzählen. Aber in privaten Gesprächen und Vorlesungen vorm Publikum ist es oft vorgekommen, dass ich mich an Menschen und Ereignisse erinnerte, die, wie sich herausstellte, für andere sehr lehrreich waren. Es waren meine Gesprächspartner und Zuhörer, die mich überzeugten, dass die beschriebenen Geschehnisse und Schicksale einen tiefen Eindruck hinterlassen, und dass es schade wäre, wenn diese nicht allen zugänglich gemacht werden. Letzten Endes war ich davon überzeugt, dass dies tatsächlich wichtig ist.

Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass ich angefangen habe zu erzählen? Im Jahr neunzehnhundertzweiundsiebzig bin ich nach Israel gekommen und im selben Jahr wurde mir und zwei anderen Auswanderern aus „Russland“ angeboten, nach Amerika zu reisen, um an einem „Dinner“, einem Wohltätigkeitsempfang, teilzunehmen, auf dem Spenden für die religiöse Bildung in Israel gesammelt wurden. Unsere Anwesenheit sollte zeigen, dass religiöse Schulen unbedingt unterstützt werden sollten, auch wegen der Kinder der neuen Einwanderer, deren Zahl immer mehr anstieg. Ich war einverstanden. In Amerika fragte Rav Pinchas Teitz (mein Cousin, von dem ich noch erzählen werde): „Möchtest du mit einem der klügsten Menschen der Welt sprechen?“ und er brachte mich zu Rav Jitzchak Hutner, gesegnet sei das Andenken des Gerechten.

Rav Jitzchak Hutner ist eine der größten jüdischen Autoritäten der Gegenwart. Unter den bedeutendsten Menschen unserer Zeit gibt es nicht wenige, die seine Schüler sind, so auch der jetzt in Israel lebende Rav Mosche Schapiro, einer der hervorragendsten Kenner des Talmuds und der jüdischen Weltanschauung, dessen Meinung alle großes Interesse und Respekt entgegenbringen.

Ich wollte nur für 10 Minuten bei Rav Hutner vorbeischauen. Geblieben bin ich wohl über eine halbe Stunde. Dieses Treffen hat Vieles in meinem Leben und in meinem Handeln verändert.

Rav Hutner interessierte sich dafür, wie ich wohl meine Kinder (als religiöse Juden in der Sowjetunion) aufziehen und erziehen konnte. Ich begann zu erzählen, aber ich hatte Angst viel zu reden. „Ob das wohl gut ist“, — dachte ich, — „zu Gast bei einem großen Menschen zu sitzen und über sich selbst zu plaudern“. Ich dachte mir, dass ich vielleicht Überflüssiges erzähle und entschuldigte mich: „Verzeihen Sie mir, Rebbe, dass ich so viel rede“. Aber er rief aus: „Glauben Sie mir, wenn es mir nicht peinlich wäre, würde ich in Tränen ausbrechen. Erzählen Sie, erzählen Sie noch und noch, erzählen Sie es allen!“

Seit jener Zeit habe ich angefangen zu erzählen. Ohne den Rav hätte ich womöglich nie etwas erzählt. Früher habe ich geschwiegen. Sogar bei mir zu Hause wusste keiner über die Details, zum Beispiel über das Lager. Als ich aus Amerika zurückkehrte und meine Frau mir zuhörte, wunderte sie sich: “Wieso hast auf einmal angefangen über alles zu erzählen?“. Rav Hutner hat mir doch gesagt: „Erzählen Sie!“ Und ich sehe, dass er recht hatte.

Was bleibt in unserem Gedächtnis erhalten? Welche Dinge tauchen darin auf, wenn man anfängt, sich zu erinnern? Ich weiß es nicht. Ich bin kein junger Mensch mehr, bin 1917 in Kasan geboren. Aber das Allererste, woran ich mich aus der Kindheit erinnere, ist, ist eine Handlung, die hätte zu großem Unheil führen können, aber glücklicherweise ohne Folgen blieb.

Meine Eltern waren meine ersten und einzigen Lehrer und sie haben mit mir Tora gelernt. Ich war noch ganz klein, als ich gelesen habe, dass zwischen uns Juden und   G-tt ein Bund existiert. Der Vers, in dem G-tt vor Awraham erscheint und sagt: „Und ich werde meinen Bund zwischen Mir und dir und zwischen deinen Nachkommen nach dir für ihre Geschlechter zum ewigen Bund aufrecht halten“ (Bereschit, 17:7) hat mich in Erstaunen versetzt. Ich habe gefragt, was das bedeutet. Und meine Eltern haben mir erklärt, dass das einzige Volk, das den Glauben an den einzigen G-tt nicht aufgeben wird, die Juden sind. Weiter heißt es: „Und ich werde dir und deinen Nachkommen nach dir das Land deines Aufenthaltes, das ganze Land Kenaan, zum ewigen Eigentum geben“ (17:8).

Bedeutet das, dass ich irgendwann in Eretz Jisrael leben werde? — fragte ich.

Damals in den Zwanziger Jahren schien das undenkbar! Aber meine Eltern haben geantwortet: „Ja, das wirst du!“- und ich habe beschlossen zu handeln. Wenn meine Eltern Gründe dafür haben, warum sie zögern, so habe ich keine, und ich habe nicht vor, nachdem ich von G-tt so ein Versprechen bekommen habe, es noch weiter in die Länge zu ziehen.

Nachdem ich mich bei Passanten erkundigt hatte, wo sich das Kommissariat für auswärtige Angelegenheiten befindet, ging ich dorthin und erkundigte mich nach dem leitenden Beamten. Ich ging zu ihm und sagte:

— Erlauben Sie mir bitte, zu meinem Opa nach Litauen auszureisen (Litauen war damals noch kein Teil der Sowjetunion), in die Stadt Raguva, Region Panevėžys. Sein Name ist Schapiro.

— Warum willst du nach Litauen, Junge?

Ich antwortete unbekümmert:

— Ich muss nach Palästina, aber aus Russland lässt man einen nicht dorthin. Deswegen will ich nach Litauen und von dort — nach Palästina.

Der leitende Beamte kritzelte etwas auf einen Zettel.

— Wer sind deine Papa und deine Mama? Für eine solche Erziehung gehört man eingesperrt!

Ich weiß nicht mehr, wie ich von dort weggerannt bin. Erst viele Jahre später habe ich verstanden, welcher Gefahr ich Vater und Mutter ausgesetzt habe. Es lässt sich wirklich nur durch ein Wunder erklären, dass sie nicht verhaftet wurden. Ich will mich jetzt zu meiner Schuld bekennen. Ich habe falsch gehandelt. Aber ich war jung und naiv. Ich war acht Jahre alt. Meinen Eltern, gesegnet sei ihr Andenken, habe ich über diesen Vorfall nie erzählt.

[2-3] Erster Teil. Mein Stammbaum

[2-3-1] Kapitel 1. Lucyn. Urgroßväter

Mein Ururgroßvater väterlicherseits, Rav Dovid Zijuni, lebte vor zweihundert Jahren. In den letzten Jahren seines Lebens war er Rabbiner in der Stadt Lucyn (so hieß die lettische Stadt Ludza bis 1917). Damals gehörte dieses Territorium zum Zarenrussland.

Ungefähr aus dieser Zeit stammt die Überlieferung, wie der erste jüdische Friedhof in Lucyn entstanden ist.

Das geschah im Jahr 1765, als diese Gebiete noch dem polnischen Königreich unterstanden (sieben Jahre später sie wurden sie an Russland angeschlossen). Dort lebte in jenen Jahren ein jüdischer Schneider namens Mojsche ben David. Es ereignete sich ein Streit zwischen ihm und den katholischen Nichtjuden, mit denen er zusammenarbeitete, woraufhin diese ihn beim Gutsherrn verleumdeten, Mojsche habe die Abbildung eines Heiligen geschändet.

Der Gutsherr ließ Mojsche zu sich rufen und forderte ihn auf, sich vom Judentum loszusagen und „den einzig richtigen Glauben“ anzunehmen. Als Belohnung versprach er ihm ein Haus und ein Feld, andernfalls drohte er ihm mit Verbrennung. Reb Mojsche sagte, dass er bereit sei zu sterben.

In diesen Zeiten wurde über Juden schnell ein Strafgericht abgehalten. Man erzählt, dass sein Sohn, nachdem der Schneider verhaftet worden war, nach Warschau fuhr, um seine Begnadigung zu erwirken. Als er aber zurückkam, war der Vater schon nicht mehr am Leben. Vor seinem Tode hatte Mojsche ben David „Schma, Jisrael….“ gesagt.

Die wenigen Juden der Stadt sammelten seine Asche auf und begruben sie. So entstand in der Stadt der erste jüdische Friedhof.

Und es erzählen die Leute, dass der Gutsherr bald darauf schwer erkrankte; im Fieberwahn erschien ihm der verbrannte Jude, und der Gutsherr schrie entsetzt: „Mojsche, verzeih´ mir!“

Nach Rav Dovid Zijuni fungierte als Stadtrabbiner im Laufe fast eines halben Jahrhunderts sein Sohn, Reb Naftoli, mein Urgroßvater, der in der „Geschichte der Juden in Kurland“ (1908, herausgegeben von Rav L.B. Awtschinskij) erwähnt wird.

Über ihn erzählt auch R. Isroel Seligmann, einer der Nachkommen von Zijuni. In „Megilat juchasin“ („Buch der Abstammungen“), das der Geschichte dieser Familie gewidmet ist, schreibt er (ab hier folgen Zitate in der Übersetzung des Autors —  Anmerkung der Redaktion):

Er (Reb Naftoli) stand stets um zwei Uhr nachts auf, betete das Vatikin-Gebet (kurz vor Sonnenaufgang — J.Z.), sogar an Feiertagen und an seinem Todestag. Nach dem Beten beschäftigte er sich ungefähr zwei Stunden lang mit dem Talmud-Studium, dann aß er und begann seinen Rundgang durch die Stadt: er besuchte die Kranken, die Notleidenden, half ihnen mit Rat und guten Worten. Seine seelische Wärme war erstaunlich, und er brachte viele Taugenichtse und Sünder dazu, dem Allmächtigen zu dienen. Innerhalb eines Vierteljahres beendete er das SCHAS-Studium (alle sechs Abschnitte des Talmuds; das kann man sich wirklich kaum vorstellen — J.Z.). Reb Naftoli war sehr bescheiden, er wollte nicht, dass man von ihm erfuhr, deswegen schrieb er keine Werke über die Tora. Man fragte ihn und er antwortete, immer sehr kurz. Er beschäftigte sich auch mit Kabbala…. Reb Naftoli wurde einundsiebzig Jahre alt. Er und sein ältester Sohn Reb Aaron-Selig bemühten sich darum, Juden zu befreien, die mit Gewalt festgehalten wurden, um in die Armee geschickt zu werden, und gerieten aus diesem Grund ständig mit der Leitung der jüdischen Gemeinde der Stadt in Konflikt (die Auswahl von Rekruten wurde in dieser Zeit der Gemeinde selbst aufgetragen; von oben benannte man nur die Anzahl — J.Z.). Die Leitung der jüdischen Gemeinde in Lucyn war dank des Einflusses von Reb Naftoli nicht so grausam, wie in anderen Städten“.

Laut dem Beschluss über die natürliche Wehrpflicht für Juden, der in Russland 1827 eingeführt wurde, wurden Juden mit zwölf Jahren in die Armee eingezogen. Diese Kinder wurden Kantonisten genannt und sie wurden in speziellen Bataillons für den Dienst in der russischen Armee großgezogen. Jüdische Jungen wurden gewöhnlich in die härtesten und die von ihren Heimatstätten am weitesten gelegenen Kantonistenschulen geschickt. Mit achtzehn Jahren wurden Kantonisten zu Soldaten und die in der Schule verbrachten Jahre wurden beim Armeedienst, der an sich fünfundzwanzig Jahre dauerte, nicht angerechnet. Dieser Beschluss blieb bis 1856 in Kraft.

Über die Einberufungsquote hinaus, die bei Juden um ein Drittel höher war, als bei den Christen, mussten jüdische Gemeinden ihre Nichtbezahlung der Kopfsteuern und andere Verwaltungsverstöße mit Rekruten begleichen. Viele Gemeinden erfüllten diese Norm hautsächlich auf Kosten der Kinder, indem sie sogar Sieben- bis Achtjährige für Zwölfjährige ausgaben und als Rekruten ablieferten.

Die Armee sollte die Juden „erziehen“, d.h. sie zur Taufe zwingen. Die Erziehungsmaßnahmen waren so ausgelegt, dass oftmals nicht mal die Hälfte der Kolonne am Ziel ankam.

Einmal habe ich ehemaligen Kantonisten gesehen. Das war in Kasan. Ich war ungefähr sechs Jahre alt, aber ich erinnere mich an die Erzählungen des alten Mannes, wie grausam man sie als Kinder gequält hatte: man brachte sie in Badehaus, sie wurden ausgezogen, man zwang sie barfuß auf glühend heißen Erbsen zu stehen, man verprügelte sie. Nicht alle konnten die Torturen aushalten und stimmten der Taufe zu. Ich hörte einmal, dass zu meinem Opa, Rav Itzele Reshizer, einmal ein Kantonist gekommen war, der sich taufen liess und es danach in der Armee bis zum Dienstgrad eines Generals brachte. Früher war er mit Rav Itzele in einem Cheder.

Wenn eine Kantonistenkolonne durch Lycin geführt wurde, kam Rav Naftoli immer zu den Kindern. Er kümmerte sich fürsorglich um sie, behandelte sie mit Zärtlichkeit und Liebe und war bemüht sie in ihrem Glauben zu stärken, damit sie Juden bleiben.

Fortsetzung folgt…

Die Übersetzung aus dem Russischen von M. und R. Vorobiev.

[3] Pfade zum Chinuch

Von Rav Matisyahu Salomon schlita

[3-1] Kap. 1: Tehillim und Tränen

Eltern kommen zu mir und wollen den „Schlüssel zum Erfolg im Chinuch“ kennen. Wie erreicht man es, dass ein kleines Baby über die Jahre hinweg zu einem feinen, anständigen und produktiven Mann oder einer ebensolchen Frau wird, die der Familie, KIall Jisrael und vor allem dem Ribbono schel Olam Ehre und Freude bringen wird?

Es gibt einen berühmten Ausspruch des Brisker Rav: Der erfolgsversprechende Weg sei nur mit „Tehillim und Treren» zu begehen, also durch eine Investition in Tehillim und Tränen beim Dawenen.

Wir können nicht erwarten, unsere Kinder ohne ständige Hilfe des Ribbono schel Olam richtig zu erziehen. Der Schlüssel zum Erfolg im Chinuch liegt also in der Tefilla.

Es versteht sich natürlich von selbst, dass der Erfolg des Chinuch auf einem zugrundeliegenden Element basiert, und das ist „Liebe“. Denn auch Tehillim und Tränen basieren auf Liebe. Wenn Eltern ihre Kinder vernünftig behandeln und ihnen reine Liebe zeigen, die sich auf die Bedürfnisse des Kindes konzentriert, und wenn sie ständig zum Ribbono schel Olam dawenen, ihnen die Weisheit, Geduld und Nachsicht zu gewähren, die sie für die Erziehung ihrer Kinder benötigen, dann haben sie eine ausgezeichnete Chance, den Erfolg zu erzielen, den sie sich wünschen.

In unseren Zeiten erleben wir, dass uns eine Lawine von Erziehungsbüchern überrollt. Solche Bücher scheinen zu einer expandierenden Industrie geworden zu sein. Aber in ihnen wird das Erziehen von Kindern als Art „Geheimwissenschaft“ betrachtet, die nur von bestausgebildeten Experten verstanden wird, die den unsicheren Eltern Regeln und Formeln darlegen, aufgrund ihrer eigenen Einsichten, Analysen und Erfahrungen, die studiert, absorbiert und genauestens befolgt werden müssen.

Ich bin jedoch der Ansicht, dass gerade viele dieser Bücher die Quelle der weitverbreiteten Verwirrung unter Eltern sind, die Rat im Chinuch suchen. Und ich bin auch ganz klar der Meinung, dass keine Regeln oder Formeln für alle Kinder anwendbar sind; denn jedes Kind ist anders.

Ich sage nicht, dass es in diesen Büchern nichts von Wert gibt. Manche von ihnen enthalten einige gute Ratschläge. Man darf jedoch nicht an Bücher glauben, die verallgemeinern und auf praktischer Erfahrung der Verfasser basieren. Denn wie wissen diese Verfasser, was für Ihr besonderes Kind funktioniert? Wie können sie wissen, was in der besonderen Umgebung Ihres Heims und den Umständen Ihres Familienlebens am besten funktioniert? Diese Bücher werden Sie mehr verwirren als Ihnen helfen.

Was sollten Sie also tun, wenn Sie beim Chinuch Ihrer Kinder erfolgreich sein wollen?

Ein «Attest»

Ich stelle hier eine einfache Frage. Wenn jemand ein Schochet werden will, muss er sich einem Verfahren unterziehen. Er muss eine Periode des Studiums und der Ausbildung durchmachen. Dann muss er eine „Kabbala“, ein Bestätigungsattest erhalten, entweder von einem etablierten Rav, jemandem, der in Fragen der praktischen Halacha als Autorität bekannt ist, oder von einem führenden Schochet mit vielen Jahren Erfahrung und dem Ruf eines qualifizierten Fachmanns.

Bevor er dieses Attest erhält, muss der zukünftige Schochet sich einer Prüfung unterziehen, um zu zeigen, dass er ein solides Wissen der Halachot der Schechita besitzt. Er muss auch zeigen, dass er weiß, wie man ein Schächtmesser vorbereitet, und dass er die physische Geschicklichkeit hat, ein Tier auf schnelle und saubere Weise zu schächten.

Solange er keine Kabbala erhalten hat, darf er keine Tiere schächten, weil die Versorgung der Gemeinschaft mit koscherem Fleisch eine sehr ernste und wichtige Aufgabe ist, die keine Nachlässigkeit zulässt.

Ein jüdisches Kind aufzuziehen, ist sicherlich keine geringere Aufgabe. Die gesamte Zukunft des Klall Jisrael hängt von der richtigen Erziehung unserer jungen Kinder ab. Jeder Chatan und jede Kalla, die unter der Chuppa stehen, wissen und verstehen dies, und übernehmen die Verantwortung für den Chinuch ihrer eigenen Kinder. Aber dennoch wird zu der Zeit, da diese zwei junge Menschen heiraten, ihren potentiellen Fähigkeiten als Eltern und Erzieher junger Kinder keine wirkliche Aufmerksamkeit geschenkt. Ich habe noch nie gehört, dass ein Rav unter der Chuppa erklärt: „Ich weigere mich, diese Chassene durchzuführen, falls ich nicht eine „Kabbala“ sehe, welche die Kompetenz dieser zwei jungen Leute bestätigt, als Fachleute im Gebiet von Chinuch zu arbeiten.»

Warum ist dies so? Warum sollte ein Schochet eine Kabbala benötigen, Eltern jedoch nicht? Zwar ist die Versorgung mit Koscherfleisch für das jüdische Volk äußerst wichtig. Die Erziehung von jüdischen Kindern und damit die Gewährleistung der Zukunft von Klall Jisrael muss jedoch von mindestens gleicher Wichtigkeit sein. Wie können wir jungen Leuten die enorme Verantwortung aufbürden, ihre Kinder aufzuziehen und damit den Aufbau von zukünftigen Generationen im Klall Jisrael sicherzustellen, ohne dass sie eine besondere Ausbildung und Vorbereitung anvertrauen? Sollten wir nicht besorgt sein, dass sie wie „lose Kanonenkugeln“ sein könnten, die Chaos und Verwüstung anrichten würden?

Klall Jisrael hat allen Faktoren, die das Wohlergehen unserer Gemeinschaft beeinflussen können, immer besondere Aufmerksamkeit geschenkt, und trotzdem gibt es keine Aufzeichnungen über „Ausbildungsprogramme für zukünftige Eltern“. Wie kann dies sein? Warum wurde von unseren Weisen keine Regelung verfügt und warum gibt es keine herkömmliche Tradition, die eine Heirat verbietet, falls das Ehepaar nicht ausgebildet wurde, Kinder angemessen zu erziehen?

Die Antwort auf diese Frage führt uns zu einem der grundsätzlichsten Prinzipien des Chinuchs. Es scheint mir, dass jeder wohlmeinende Vater und jede wohlmeinende Mutter, die ein gutes jüdisches Heim errichten wollen, in sich selbst das Wissen und die Fähigkeiten finden werden, ihre eigenen Kinder zu erziehen. Ich weiß nicht, ob sie die Fähigkeit haben werden, anderen Leuten in Chinuchfragen Rat zu erteilen, aber für ihre eigenen Kinder hat der Ribbono schel Olam jedem Mann und jeder Frau die angeborene Fähigkeit gegeben, sie richtig zu erziehen.

Er hat uns die Fähigkeiten und die Weisheit und das Talent gegeben, unsere eigenen Kinder zu verstehen und ihnen zu geben, was sie benötigen. Wir benötigen dafür keine spezielle Ausbildung. Wir benötigen dafür keine Zeugnisse. Wir benötigen keine speziellen Bücher oder Unterrichtsstunden. Die spezifischen Antworten, die für unsere Kinder anwendbar sind, sind in unsere eigenen Herzen und Köpfe eingepflanzt.

Es ist jedoch nicht meine Absicht, die Zweckmäßigkeit von Experten in der Kinderpsychologie zu verwerfen. Manchmal gibt es mit Kindern trotz unserer besten Bemühungen Probleme. Viele verschiedene Faktoren haben einen Einfluss auf die Gemütsverfassung eines Kindes. Kinder erleben zwangsläufig Erfahrungen in der Schule, mit Freunden und allen möglichen anderen Situationen, und sie können auch auf diese Weise in gewissem Masse „vom Gleis“ abkommen. In solchen Fällen ist es eine gute Idee, gemäß den Empfehlungen und der Anleitung eines erfahrenen Rav oder Rosch Jeschiwa Hilfe zu suchen.

Wenn Eltern jedoch mit einem neugeborenen Kind ohne besondere Probleme beginnen, kann sicher angenommen werden, dass sie wissen werden, was für ihre eigenen Kinder zu tun und wie es zu tun.

Außerdem könnten spezifische Ratschläge von außen, in Form von Büchern oder Kursen, die nicht auf Ihre Kinder maßgeschneidert sind, mehr Schaden als Nutzen bringen. Sie könnten die Eltern verwirren und irreführen und sie dazu veranlassen, ihrem eigenen natürlichen Instinkt und ihre eigenen Talente zu missachten und zu versuchen, ihre Kinder gemäß dem Rat von Leuten zu erziehen, die sie und ihre Situation nicht kennen.

Leser sollten vorgewarnt werden, dass diese Kapitel nur als allgemeine Richtlinien verwendet werden sollten und dass sie spezifische Anleitung von ihren eigenen Rabbanim und Mentoren suchen müssen.

Wohlmeinende Eltern

Wie ich zuvor gesagt habe, haben alle wohlmeinenden Eltern die natürliche Fähigkeit, ihre eigenen Kinder richtig zu erziehen. Aber wie definieren wir wohlmeinende Eltern? Wir können sicherlich nicht sagen, dass alle Menschen, ungeachtet ihres Verhaltens und ihrer Einstellung, darauf vorbereitet sind, jüdische Kinder zu erziehen und die Zukunft von Klall Jisrael aufzubauen.

Es muss eine Grundlinie geben, gewisse Kompetenzen, ohne die wir nicht davon ausgehen können, dass ein Mensch fähig ist, ein jüdisches Kind auf die richtige Weise zu erziehen. Was sind diese Kompetenzen?

Die erste Kompetenz, so scheint mir, ist, dass der Vater und die Mutter selbst über eine gute Basis an Tora-Werten verfügen und sich in einem andauernden Prozess befinden, sich selbst zu erziehen.

Kompetente Eltern sind solche, die stets daran arbeiten, sich selbst zu verbessern und vervollkommnen, ihre Charakterfehler überwinden und ihre besseren Eigenschaften entwickeln. Sie stellen sich den Herausforderungen des Lebens mit einer Entschlossenheit, in bestmöglicher Weise erfolgreich zu sein.

Wer sind diese kompetenten Eltern, welche die „natürliche Fähigkeit“ haben, ein Kind zu erziehen? Menschen, die Verantwortung für sich selbst übernehmen und an ihrem eigenen Wachstum arbeiten. Dies ist die Art von Mensch, in den der Ribbono schel Olam die Weisheit und die Fähigkeiten einpflanzt, ein Kind aufzuziehen. Wenn der Mensch aufrichtig ist und sich seinem Wachstum widmet, wenn seine Gedanken und Aspirationen in diese Richtung gerichtet sind, kann man ihm auch die Verantwortung anvertrauen, das Wachstum eines Kindes zu betreuen.

Die wichtigste Eigenschaft von Eltern ist Ehrlichkeit, ein aufrichtiger Zugang zu allen Aspekten des Lebens mit Integrität, und der Wille, das Richtige zu tun. Solch ein Mensch kann „Sijata Dischmaja“, die Hilfe des Ribbono schel Olam, bei jedem Schritt seines Lebens in allen Dingen, die ihm begegnen, anstreben.

Und wenn er seine Aufgabe beim Erziehen seiner Kinder in derselben ehrlichen Weise angeht, dürfen wir annehmen, dass der Ribbono schel Olam ihm die Fähigkeiten gegeben hat, um erfolgreich zu sein.

Dann benötigt er keine Zeugnisse, und Tests und Prüfungen werden nicht helfen, denn wenn er ein ehrlicher Mensch ist, der die richtige Lebensauffassung hat, wird er zweifellos die Fähigkeit und das Verständnis haben, die er benötigt, um seine eigenen Kinder richtig zu erziehen. Wenn er die Aufgabe jedoch mit der falschen Lebensauffassung und mit schlechten Middot angeht, werden auch Zeugnisse und Prüfungen nichts helfen.

Manche Eltern betrachten die Erziehung ihrer Kinder als eine „Konkurrenzaufgabe“ mit ihren Freunden, Nachbarn und Familie. Sie wollen ihre Klugheit und ihre Fähigkeiten bei der Kindererziehung vorzeigen. Sie wollen beweisen, dass sie ihre Kinder zu intelligenten und vollendeten Jugendlichen formen können, dass sie sie bis zum Punkt steuern können, wo sie die Besten der Klasse werden. Wenn Eltern ihre Kinder als Quelle auf sie selber zurückfallenden Ruhms und Stolzes betrachten, wird ihr Chinuch aber nicht erfolgreich sein. Alle Zeugnisse und guten Noten bei Erziehungstests werden keinen Unterschied machen.

Sie werden ihre Kinder „zum Entgleisen“ bringen, und dann werden sie die Hilfe von Experten von außen benötigen, um sie wieder zu erziehen.

Alle wohlmeinenden, ehrlichen Menschen haben die angeborene Fähigkeit, ihre Kinder erfolgreich aufzuziehen, sogar einfache, ungelernte Menschen. Solange Eltern nur versuchen, ihre Kinder in einer Art und Weise aufzuziehen, die dem Willen des Ribbono schel Olam entspricht, werden sie keine Hilfe von außen benötigen. Solange ihre Motive und Absichten rein sind, werden sie sich ein eigenes Reservoir von Fähigkeiten und Talenten zunutze machen können. Wenn ihre Absichten jedoch andere sind, können sie Probleme erwarten, unabhängig davon, wie viele Erziehungsbücher sie lesen und wie viele Kurse sie besuchen.

Dies ist die tiefere Bedeutung der Erklärung des Brisker Rav, dass der Chinuch „Tehillim und Tränen» bedeutet. Nur wenn man sich in erster Linie darauf konzentriert, das Richtige gemäß dem Willen des Ribbono schel Olamzu zu tun, kann man hoffen, im Chinuch erfolgreich zu sein.

Fortsetzung folgt…

Erschienen im Artscroll Verlag, in deutscher Übersetzung in Der Jüdischen Zeitung (Schweiz)

[4] Geschichten von Rav Scholem Schwadron

[4-1] Ein Jehudi verirrt sich nie!

Reb Mordechai Pogromanski, das Andenken des Gerechten zum Segen, befand sich einst auf einer Zugreise, als ein anderer Jehudi in dasselbe Abteil eintrat und sich neben ihn setzte. Bei jenem Jehudi handelte es sich um einen Schochet, der gleichzeitig auch ein Mohel war. Zwischen den beiden entwickelte sich ein Gespräch, das sie nach kurzer Zeit in ein tiefgründiges Thema hineinzog. Sie vergaßen daraufhin ihre Umwelt und realisierten nicht, dass der Zug ihr Ziel schon lange hinter sich hatte.

Plötzlich schaute der Schochet aus dem Fenster und musste zu seinem Entsetzen feststellen, dass sie ihre Station verpasst hatten. Das Ganze geschah an einem Freitag und es gab an diesem Tag keine Bahn mehr, die sie zurückbringen würde. Er und Reb Mordechai mussten deshalb feststellen, dass ihnen keine andere Möglichkeit übrigblieb, als den Schabbat an einem fremden Ort zu verbringen. Der Schochet begann sich sofort zu sorgen, was sein würde, wo sie einen Platz zum Übernachten finden würden, etc.

Reb Mordechai beruhigte ihn jedoch und sagte ihm: „Es gibt bei uns eine grundlegende Regel: „Ein Jehudi verirrt sich nie!“ An jeden Ort an den er gelangt, wird er durch die direkte Führung von G-tt gebracht! Haschgacha Pratit (g-ttliche Vorsehung)!“

Bei der nächsten Station verließen die zwei Herren den Zug, obwohl der Ort ihnen vollkommen unbekannt war.

Es wurde ihnen aber bald gesagt, dass an dieser Ortschaft kein einziger Jehudi wohne. Der Schochet wurde etwas unruhig, jedoch schwieg er und verließ sich auf das Vertrauen von Reb Mordechai. Reb Mordechai gab nicht auf und forschte weiter. Und wirklich fand er bald heraus, dass doch ein einziger Jehudi in der Stadt wohnte. Man konnte ihm auch den Weg dorthin zeigen. Voller Freude begaben sie sich schnell dorthin und klopften an die Türe des jüdischen Hauses.

Als jener Jehudi die Tür öffnete und die zwei Jehudim erblickte, begann er gefühlsvoll zu weinen. Es schien, als ob er noch nie einen solchen Anblick hatte und wahrscheinlich meinte, es handle sich bei diesen Jehudim um Awraham Awinu und Elijahu Hanawi (Prophet Elijahu). Als der Jehudi sich ein wenig beruhigt hatte, führte er sie voller Freude in sein Haus und erzählte ihnen: „Vor einer Woche wurde mir ein Sohn geboren und heute ist der achte Tag. Ich stehe schon den ganzen Tag und bete, flehe und weine vor Haschem, dass Er mir doch bitte eine Person schicken möge, der meinen Sohn beschneiden kann. Es sieht so aus, als ob ihr vom Himmel geschickt wurdet, meiner Bitte nachzukommen!“

Wie gesagt war der Begleiter von Rav Mordechai Pogromanski auch ein Mohel und so beschnitt er das neugeborene Kind, während Reb Mordechai als Sandak amtierte.

Die Freude der Eltern kannte keine Grenzen und sie dankten den zwei ‚Boten des Himmels’ und segneten sie von ganzem Herzen. Selbstverständlich blieben sie den ganzen Schabbat bei ihnen.

Als sie nach Schabbat nach Hause fuhren, wandte sich Reb Mordechai an seinen Begleiter und erinnerte ihn nochmals an die Regel: „Du siehst also: Ein Jehudi verirrt sich nie!“

[4-2] Nicht kaufen!

Bei den Zaddikim können wir sehen, wie sehr sie sich vor dem kleinsten Verdacht von Diebstahl in Acht nahmen.

Der Maschgiach der Jeschiwat Lomza, der Zaddik Rav Elijahu Duschnitzer, das Andenken des Gerechten zum Segen, besass einen ‚Pardes’, einen Etrog-Garten. Wie kam er dazu?

Sein Sohn erhielt von seinem Schwiegervater als Mitgift einen Pardes. Dieser brachte ihm aber kein Glück. Er hatte mehr Verluste als Gewinne. Wie es der Fall bei den meisten Etrog-Gärten in jener Zeit war, war der Zustand des Gartens sehr schlecht. Es kam soweit, dass er durch die grossen Ausgaben für die Pflege des Gartens Schulden machte. Das störte ihn auch bei seinem Tora-Lernen. Er beschloss, dass er die erstbeste Gelegenheit ergreifen werde, um den Garten los zu werden. Er wollte ihn verkaufen, sobald er konnte.

Die verzwickte Lage seines Sohnes tat Reb Elijahu sehr leid und so beschloss er, den Pardes seines Sohnes zu kaufen, in der Hoffnung, dass sich der Zustand des Pardes ändern würde.

Es vergingen einige Jahre und der Zustand des Pardes verschlechterte sich noch mehr. Nun war es Reb Elijahu, der sich durch den Pardes verschuldete. Reb Elijahu wusste nicht, was er machen sollte. Er dawente und bat Haschem um Hilfe und so bat er auch andere Leute, für ihn zu dawenen, dass er Erfolg haben sollte, den Pardes zu verkaufen.

Es vergingen noch einige Jahre und ein Schüler von Reb Elijahu, der inzwischen Grundstückmakler wurde, traf einen Jehudi aus dem Ausland. Dieser bat ihn, ihm einen Etrog-Garten in Erez Jisrael zu finden, den er kaufen konnte. Der Makler freute sich und rief sofort seinen Maschgiach, Reb Elijahu, an und teilte ihm mit, dass er einen Käufer für seinen Pardes habe. Er bat ihn, zu ihm nach Jeruschalajim zu kommen, um sich mit dem potenziellen Käufer zu treffen und den Verkauf zu besprechen.

Reb Elijahu kam, traf sich mit ihm und erklärte sich mit dem Verkauf einverstanden. Danach bestiegen sie zu dritt den Bus nach Tel-Aviv, wo sich der Pardes befand.

Während der Reise von Jeruschalajim nach Tel-Aviv begann Reb Elijahu dem Käufer über den Pardes zu erzählen. Er besprach mit ihm jeden einzelnen Baum im Garten und erklärte ihm: „Dieser Baum ist verfault… Den Baum daneben solltest du lieber nicht berühren, usw.“ Er erzählte ihm über alle Probleme der Bäume und erklärte anschließend alle Schwierigkeiten mit der Bearbeitung der Erde. So führte er den Käufer auch in die generelle Pflege eines Etrog-Gartens ein. Ein Zuhörer hätte meinen können, dass Rav Elijahu das Ziel hatte, den potenziellen Käufer abzuschütteln und ihm vom Kauf abzuraten.

Nach diesem langen Gespräch, schloss Reb Elijahu mit den Worten: „Hören Sie mir zu, werter Jehudi. Wenn es Ihnen möglich ist, sich in der Nähe des Pardes aufzuhalten und jeweils die Arbeiten auf dem Feld zu beaufsichtigen, dann ist es gut. Ansonsten würde ich vom Kauf abraten. Es wäre schade um Ihr Geld…!“

Das war aber noch nicht alles. Als sie den Pardes erreichten, verkündete Reb Elijahu, während er sich an den Käufer wandte: „Die Erzählung ist nicht das Gleiche wie wenn man es selbst sieht! Ich werde mit Ihnen nun zu jedem Baum gehen und Ihnen die Probleme jedes Baumes zeigen!“

Der Makler konnte seinen Augen nicht trauen. Es war allgemein bekannt, dass Reb Elijahu infolge des Pardes verschuldet war und schon seit einigen Jahren versuchte, seinen Pardes zu verkaufen! Wie konnte es dann sein, dass er dem Käufer vom Kauf abriet?

Die Führung von Reb Elijahu wurde aber bald abgebrochen. Denn während dem Rundgang nahm der potenzielle Käufer ein kleines Fläschchen aus seiner Tasche, und entschuldigte sich, dass er kurz einen Schluck davon nehmen müsse. Reb Elijahu fragte ihn verwundert, weshalb er denn dieses Mittel einnehmen müsse und bekam zur Antwort, dass er an einem bestimmten Herzleiden litt und deshalb immer diese Medizin schlucken müsse.

Reb Elijahu segnete ihn aufs Herzlichste: „Sie sollen bald eine vollkommene Heilung haben! Ich kann Ihnen jedoch diesen Pardes nicht in einem solchen Zustand verkaufen!

Hier platzte aber die Geduld des Käufers und er sagte: „Was stört es Sie, wenn ich diesen Etrog-Garten kaufen möchte?“

Er konnte Reb Elijahu jedoch nicht von seinem Beschluss abbringen: „Sie leiden doch unter Herzbeschwerden! Sie werden mit diesem Pardes keinen Erfolg haben. Ich werde Ihnen meinen Garten nicht verkaufen!“

Und so ging die Geschichte zu Ende. Der Mann ging mit leeren Händen weg, hatte aber einen Segen des Zaddiks verdient, der ihm eine Refu’a Scheleima wünschte und erhielt auch eine große Lektion im Vermeiden von Diebstahl!

Aus der Jüdischen Zeitung (Schweiz)

[5] Halacha-Ecke: Schawuot

Aus dem Sefer Scha’rei Jemei Pessach“ von Rav Jehuda Tschesner, Rav in Ofakim

[5-1] Tora-Lernen in der Schawuot-Nacht

Es ist ein Minhag in Klall Jisrael, der auf dem Sohar-Buch basiert, die ganze Schawuot-Nacht wachzubleiben und sich mit der Tora zu beschäftigen.

Es werden dafür zwei verschiedene Gründe gebracht. Der Magen Awraham schreibt, dass wir damit einen Fehler von Klall Jisrael verbessern wollen. Denn Klall Jisrael verschlief an jenem Morgen, als G-tt die Tora geben wollte. Rav Chajim Palagi bringt hingegen, dass wir Gegenteil als Andenken an jene Nacht vor der Kabbalat HaTora machen. Denn auch der Klall Jisrael blieb damals während der ganzen Nacht wach und beschäftigte sich mit der Tora, um sich dadurch auf die Kabbalat Hatora vorzubereiten.

[5-2] Was lernt man?

Es gibt verschiedene Bräuche, was in dieser Nacht gelernt werden soll. Einige lernen den ‚Tikkun Leil Schawuot‘, wie der Schlah schreibt. Er schreibt, dass sich ein Minjan Leute versammeln soll und von der Tora, Newi’im und Ketubim, von den sechs Bänden der Mischna, vom Sefer Jezira, Sohar und den Tarjag (613) Mitzwot des Rambam lernen soll.

Andere sind der Meinung, dass man in der Schawuot-Nacht keine Mischna lernen soll.

Wieder andere finden, dass man sich in dieser Nacht mit dem Lernen beschäftigen soll, das man normalerweise lernt.

Es wird auch der Brauch gebracht, das ganze Sefer Tehillim zu sagen, wahrscheinlich weil David Hamelech, der das Sefer Tehillim verfasst hatte, an diesem Tag starb.

[5-3] Hauptsache

Die Hauptsache ist jedoch, dass man fleißig lernt und jeden Moment dieser Nacht für das Tora-Lernen ausnützt. Man soll deshalb etwas auswählen, das man gerne lernt, sodass man nicht dazu kommt, die Zeit für unnütze Dinge zu verwenden.

Es wird gebracht, dass man während der ganzen Nacht und nach anderen Meinungen sogar bis nach der Tefillat Mussaf, darauf achten soll, kein unnötiges Gespräch zu führen.

[5-4] Segula

Im Schulchan Aruch des Arisal wird gebracht: „Jeder, der in dieser Nacht überhaupt nicht schläft und sich mit der Tora beschäftigt, kann beruhigt sein, dass er während des ganzen kommenden Jahres am Leben bleiben und keinerlei Schaden erleiden wird.“

Rav Chajim Palagi fügt hinzu, dass man den Verdienst haben wird, Kinder und Enkel zu bekommen, die Talmidei Chachamim sind und dass man dadurch große Dinge in den oberen Welten bewirkt.

[5-5] Schlafen während des Dawenens

Einige Posskim schreiben jedoch, dass ein Mann der sich bewusst ist, dass er während des Dawenens einschlafen wird, falls er die Nacht hindurch wach bleibt, sich nach dem Lernen – solange seine Kräfte es zulassen – eher schlafen legen soll.

[5-6] Lernen nach dem Morgengrauen

Man muss das Tora-Lernen nicht unterbrechen, um eine Person zu finden, die einen mit der Birkat Hatora motzi sein kann. Man muss auch das Dawenen oder Lernen nicht unterbrechen, um sich nach dem Morgengrauen die Hände zu waschen.

[5-7] Morgengebet nach einer schlaflosen Nacht

Weil bei verschiedenen Brachot der ‚Birkot Haschachar‘ Zweifel bestehen, ob man sie sagen kann, wenn man eine ganze Nacht wach geblieben ist, soll man sich nach Möglichkeit von einer anderen Person, die während der Nacht während mindestens einer halben Stunde geschlafen hat, mit folgenden Brachot motzi sein lassen: Bracha über Zizit (sofern man nicht ein Tallit oder ein anderes Zizit anzieht); Bracha über das Händewaschen; Elokai Neschama; Birkat Hatora (Jewarechecha und Eilu Dewarim werden persönlich gesagt) und die Bracha Hama’awir Scheina. Bei den anderen Birkot Haschachar bis ‚Gomel Chassadim Towim‘ kann man sich, wenn man möchte, auch von einer anderen Person motzi sein lassen.

Falls man nicht durch eine andere Person joze sein kann, muss zwischen verschiedenen Brachot unterschieden werden.

Die Bracha über das Händewaschen kann gesagt werden, nachdem man vor dem Dawenen auf der Toilette und zum Händewaschen verpflichtet war.

Birkat Hatora kann gesagt werden, falls man am Tag zuvor geschlafen hat, oder man kann beim Sagen der Bracha ‚Ahawa Rabba‘ die Kawana haben, joze zu sein. In diesem Fall soll unmittelbar nach dem Dawenen etwas gelernt werden.

Bei den anderen zwei Brachot ‚Elokai Neschama‘ und ‚Hama’awir Scheina‘ besteht eine Meinungsverschiedenheit, ob sie gesagt werden können oder nicht.

Aus der Jüdischen Zeitung (Schweiz)

[6] Vom Sinai bis in unsere Tage: Geschichte der Überlieferung der mündlichen Tora

Von Rav Moshe Pantelat schlita

[6-1] Teil 1. Vom Sinai bis zur Mischna

Kapitel 1

Das Thema dieses Buches kam unter beachtenswerten Umständen zustande. In meinen jungen Jahren, als ich in der Jeschiwa lernte, verdiente ich auch beim Sender „Kol Israel“ etwas dazu, in der russischen Abteilung des israelischen Rundfunks, der Programme für die Sowjetunion sendete. Mir wurde die wöchentliche Sendung anvertraut, die dem aktuellen Wochenabschnitt der Tora gewidmet war. Die Sendung wurde um sechs Uhr morgens ausgestrahlt, so dass es höchstwahrscheinlich keine Zuhörer außer meiner Mutter gab, die damals in Moskau lebte. Da aber eine Sendung im staatlichen Rundfunk eine verantwortungsvolle Angelegenheit war, auch wenn es keine Zuhörer gab, wurde mir ein Zensor zugeteilt, der darauf achtgeben musste, dass ich das Vertrauen nicht missbrauchte und keine allzu sehr „obskuren“ Ideen durchschleifte. Mein Zensor war der Schriftsteller und Publizist Isja Nadel, weithin bekannt unter dem Pseudonym Oren, ein sympathischer Mensch längst schon nicht mehr jungen Alters. Er verfügte über ein kolossales Allgemeinwissen und es war mir eine richtige Freude, mit ihm zusammenzuarbeiten. Aber Zensor bleibt Zensor (auch wenn er sich offiziell Redakteur nannte), deshalb mussten wir mehrmals aneinanderstoßen, „wegen ideologischer Fragen“, wie man damals zu sagen pflegte.

Als ich mir einmal seinen Vorschlag anhörte, eine für mich sehr wichtige Textstelle in der Sendung, die auf Tonband aufgenommen wurde, zu ändern, empörte ich mich: “Verstehen Sie, Isja, ich habe nicht vor, die Tora als ein Denkmal der antiken Literatur oder der Folklore der israelitischen Stämme aus der Zeit der „Teilung der Königreiche“ darzustellen. Dazu suchen Sie sich jemand anderen. Für mich ist die Tora die Wahrheit!“

Nadel lächelte. „Ärgern Sie sich nicht, junger Mann. Ich werde Ihnen einen Witz erzählen. Ein Jude sagt zu einem Moslem: „Hör mal, Du bist doch ein intelligenter Mensch, wie kannst du an Geschichtchen glauben, dass ein Engel dem Mohammed den ganzen Koran ins Ohr geflüstert hat?“.  Antwortet ihm der Moslem: „Und wie kannst du an Geschichtchen glauben, dass G-tt persönlich auf den Berg Sinai herunterkam und Moses alle Gebote überreichte?“ Da rief der Jude: „Aber das ist doch wahr, dos is emes!“

Diese Anekdote passte zur Situation und wir lachten beide. Natürlich verstand ich, dass man irgendwie widersprechen musste, aber ich wusste noch nicht, wie.

Unterwegs zu Jeschiwa führte ich gedanklich den Dialog mit meinem Zensor fort. Wir behaupten tatsächlich, dass der Text der Tora auf eine wundersame Weise dem jüdischen Volk am Sinai übergeben wurde. Aber wer hat das gesehen? Wo sind Zeugnisse oder wenigstens Andeutungen für dieses Ereignis? Kann man den Text der Tora selbst als Zeugen in der Frage der Herkunft der Tora akzeptieren? Woher kommt meine Überzeugung, dass das Buch, das ich in der Jeschiwa studiere, auch tatsächlich das Buch ist, dass der Schöpfer dem Propheten Mosche übergeben hat? Sind es vielleicht bloß Märchen vergangener Generationen, die vor uns lebten, Märchen, die weit entfernt sind von den wirklich richtigen wissenschaftlichen Vorstellungen über die Welt? Irrungen und Aberglaube? Früher hatte mich diese Frage nicht beschäftigt. Indem ich mich weiter in die Welt der Tora vertiefte, spürte ich „mit allen Fasern meines Herzens“, dass die Tora und ihr Text kein Werk von Menschenhand ist. Wie aber kann man das beweisen? Wie kann man das den Zuhörern erklären? Seine Empfindungen an einen anderen Menschen weiterzugeben und ihm zu sagen: „Glaub mir, dass es wahr ist!“, ist unmöglich. Es ist ein objektives Zeugnis erforderlich oder irgendein anderer, nicht weniger gewichtiger Beweis.

Woher weiß ich also, dass die Tora wahr ist? Klar, man muss als Erstes die Quelle prüfen, aus der ich meine Kenntnisse schöpfe. Also meine Lehrer prüfen!

Der Rabbiner, mit dem ich in der Jeschiwa lerne, unterrichtet Tora als eine Offenbarung des Schöpfers der Welt. Er weiß, dass die Offenbarung am Sinai kein Erguss der Phantasie des Volkes ist. Er spürt es nicht nur, er ist davon wirklich überzeugt. Schon beim ersten Treffen hat mich sein ungewöhnliches Gesicht beeindruckt, in dem – und das haben alle bemerkt – seine die Wahrheit ausstrahlenden Augen auffielen. Anders lässt sich das auch nicht sagen – eben Augen voller Wahrheit – wenn man mit ihm sprach, musste man ihm einfach glauben. Skeptiker werden dennoch dagegenhalten, dass ein ehrliches Aussehen bei Weitem kein Beweis dafür ist, dass das von ihm Gesagte auch wahr ist. Dem stimme ich auch zu.

Aber woher weiß mein Lehrer von der Offenbarung auf dem Sinai? Von seinen Lehrern und so weiter. Mit anderen Worten, das Wissen über die Herkunft der Tora habe ich als Überlieferung, nach der Tradition, erhalten.

Das ist die Antwort! Aber aus meiner Erfahrung heraus wusste ich, dass diese Antwort solche Gesprächspartner wie Isja Nadel nicht besonders beeindrucken würde. Sie sind skeptisch gegenüber Überlieferungen. Natürlich ist Überlieferung nicht gleich Überlieferung. Alle Ethnien haben ihre Traditionen, ihren Epos und ihre Folklore, wobei die Wissenschaftler das Wesen der Herkunft dieser Folklore längst entdeckt haben. In den meisten Fällen steht dahinter eine mündliche literarische Volkskunst. Stämme und Völker sind geneigt, ihre Vergangenheit zu idealisieren. Viele Nationen erfinden ihre Herkunft, d.h. sie beschäftigen sich mit einer direkten Geschichtsfälschung, was eigentlich eine beliebte Beschäftigung der gesamten Menschheit ist. Man braucht sich nur an die ägyptischen Pharaonen zu erinnern. Oder an die Pharaonen einer uns viel näheren Ära — die Herrscher unseres ehemaligen Vaterlandes (Anm. des Übersetzers: der Autor stammt aus der ehemaligen Sowjetunion). Diese betrieben Geschichtsfälschung bewusst und das auch noch erfolglos. Und die alten anonymen Autoren taten das unbewusst und waren sehr erfolgreich. Genauer gesagt haben sie die Geschichte nicht um-, sondern neugeschrieben, denn vor ihrer Zeit existierten gar keine Niederschriften. Warum dann nicht annehmen, dass die Juden im Altertum dasselbe getan hatten?

Ich habe nicht umsonst erwähnt, dass die einen die Geschichte umschreiben und die anderen sie neu erfinden. Eine Fälschung ist nur dann möglich, wenn etwas nicht klar ist, wo die Ereignisse vergangener Epochen vom Nebel der Vergessenheit umhüllt und von Lücken im nationalen Gedächtnis gekennzeichnet sind. Da, wo alles klar ist, ist es sehr schwer, in den Geschichtsgang Ereignisse einzubauen, die es nicht gab. Man traut Überlieferungen nicht, weil man nicht weiß, wo diese herkommen, weil man es nicht vermag, die Kette der Weitergabe dieser Ereignisse nachzuvollziehen. Aber wenn wir es schaffen würden, die kontinuierliche Kette der Traditionsübergabe wiederherzustellen, über die man in jeder Generation Bescheid weiß, wer die Menschen waren, die die Informationen weitergegeben hatten, dann wird man sagen können, dass die Überlieferung vertrauenswürdig ist.

Ich werde folgendes Beispiel anführen: 1991 wurde das 500-jährige Jubiläum der „Entdeckung“ von Amerika durch Kolumbus gefeiert. Es fanden sich Menschen in Skandinavien, denen die Idee des Festes nicht gefiel. Es ist nämlich so, dass eine uralte Sage existiert, die besagt, dass die norwegischen Wikinger es bis an die Küste Amerikas fast schon im elften Jahrhundert geschafft hatten. Leider blieben keinerlei Beweise für diese mutigen Abenteuer erhalten.

Was meinen Sie, was hätten jene kühnen Seefahrer tun sollen, erstens, damit Zeugnisse ihrer Ankunft auf diesem weit entfernten Kontinent die Zeit überdauern, und zweitens, damit diese Zeugnisse in unseren Augen auch wahrheitsgetreu genug sind? Sie werden sagen, dass diese Menschen es nicht nötig gehabt hätten, sich Gedanken über uns zu machen? Dann wiederhole ich meine Frage auf eine andere Art und Weise: Was hätten Sie an ihrer Stelle getan?

Vorschlag Nummer eins: eine Flasche mit einem Zettel drin in der Erde vergraben. Oder noch besser: einen Schriftzug im Felsen einmeißeln (damit man dafür später einen speziellen Saal im Britischen Museum zur Verfügung stellt). Das Allerbeste wäre aber, wenn man nach Amerika kommen, die dortigen Bewohner versammeln und sie bitten würde, eine Deklaration zusammenzustellen, sagen wir, in fünfhundert Exemplaren, auf Bisonhäuten niedergeschrieben, etwa folgenden Inhalts: „Wir, die Unterzeichner, bezeugen hiermit, dass wir an dem und dem Tag diesen oder jenen Mondes, in dem und dem Jahr nach dem Hochwasser auf dem Potomac River Bleichgesichtern begegneten, die behaupteten, von einem weitentlegenen Überseeland Norwegen eingetroffen zu sein“. Oder so etwas in der Art. Kurz gesagt, es geht um ein Dokument. Was machen wir weiter? Wir vereinbaren, dass jeder Besitzer eines der fünfhundert Exemplare sein Exemplar, nachdem er es unterzeichnet hatte, bei sich aufbewahren und vor dem Tod seinem Sohn übergeben wird. Der Sohn wird seinerseits eine Unterschrift unter die Unterschrift des Vaters setzen – „das Falkenauge“ oder „die treue Hand“ — und wird ehrlicherweise dazu schreiben: „Auch wenn ich selbst die Bleichgesichter nicht gesehen habe, habe ich über sie von meinem Vater gehört“. So wird diese Deklaration von einer Generation an die andere weitergegeben, die Liste der Unterschriften würde immer größer werden und die Informationen über die Ankunft der Norweger würden sich innerhalb der lokalen Bevölkerung verbreiten. Schließlich treffen die ersten Spanier ein und bekommen – anstatt einer feierlichen Rede – gut erhaltene Dokumente auf Bisonhäuten vorgezeigt, nach dem Motto „Ihr seid halt zu spät, señores!“

Es geht aber nicht um Kolumbus‘ Weggefährten, sondern um uns. Sagen Sie, wenn nicht Tausende von solchen Deklarationskopien mit langen Listen von den „Falkenaugen“ und „Langen Fingern“ an uns gelangt wären, würden wir nach wie vor denken, dass Amerika von Kolumbus entdeckt wurde?

Man muss also die Generationskette herausbekommen, sie wiederherzustellen! Ich rannte zu meinem Lehrer Rav Eliezer Kugel und fragte, wer ihn in der Tora unterrichtete. Er antwortete, dass er in seiner Jungendzeit beim bekannten Rabbiner von Brest Rav Soloveitschik gelernt hatte, der aus Litauen nach Israel kam, als der Zweite Weltkrieg tobte.

Alle weiteren historischen Untersuchungen führte ich selbst durch. Zuerst stellte sich die Frage, bei wem Rav Soloveitschik gelernt hatte. Daraufhin musste man klären, bei wem seine Lehrer gelernt hatten. So entfaltete sich langsam- ein Kettenglied nach dem anderem- die ganze Kette der Übergabe jüdischer Tradition. Dieses Buch, das der Leser in der Hand hält, ist der Beschreibung dieser Kette gewidmet.

Fortsetzung folgt…

Die Übersetzung aus dem Russischen von M. und R. Vorobiev

[7] Wie baut man ein richtiges jüdisches Zuhause?

Von Rav Jigal Polischuk schlita

Ich möchte ein Thema beginnen, das für uns alle sehr wichtig ist. Was ist ein jüdisches Haus? Wie kann man es auf einem stabilen Fundament bauen? Wie soll ein solches Haus beschaffen sein? Wir sprechen darüber, indem wie uns auf eine Mischna in „Pirkei Avot“ beziehen. Das richtige jüdische Haus ist ein Ort, an dem sich die Weisen versammeln, wo Zedaka gegeben wird, wo man den Armen hilft…

Es gibt eine wunderbare Aussage: «Es ist nicht wichtig, dass es viel Platz im Hause gibt, sondern es ist wichtig, dass man viel Platz im Herzen hat». Was meint die Mischna (Avot, 1:5), indem sie sagt: «Jehi bejtecha patuach lirwacha we jihju anijim bnej wejtecha» (Es sei dein Haus weit geöffnet und es seien die Armen wie deine Familienmitglieder)? Es kann sein, dass der Mensch gar nichts besitzt («bajt patuach» kann man auch als „leeres Haus“ übersetzen), sein Haus aber voller Gastfreundschaft und Wohltätigkeit ist. Und es kann das absolute Gegenteil der Fall sein: alle erdenklichen materiellen Güter sind im Haus vorhanden, aber das Haus ist verschlossen und der Mensch hat überhaupt keinen Nutzen davon…

In „Pirkei Avot“ wird auch gesagt, dass der Mensch im Staub zu Füssen der Weisen sitzen und ihren Worten lauschen soll. Mehr als das, es wird auch gesagt: «Dein Haus sei ein Haus der Versammlung von Weisen». Man hätte es auch anders sagen können: «An dem Ort, wo sich die Weisen versammeln, sollst du im Staub zu deren Füßen sitzen». Wieso taucht hier das Wort „bejtecha“- dein Haus auf? Wenn wir über das Haus der Versammlung von Weisen sprechen, meinen wir, dass unser Leben im Schatten der Versammlung von Weisen gelebt wird und nicht nur dann, wenn wir uns im Bejt Hamidrasch befinden. Die Tora wird von einer Generation an die nächste weitergegeben und der wahre Ort für dieses Weiterreichen ist das jüdische Haus.

Mündliche Tora ist das, was der Mensch von seiner Mutter gehört hat, diese wiederum von ihrer Mutter und so weiter, bis hin zu Mosche Rabejnu. Die Übergabe der Tradition erfolgt nicht nur vom Vater an den Sohn und vom Lehrer an den Schüler – daran beteiligen sich auch unsere Mütter, Ehefrauen und Großmütter.

Ich habe von meinen Lehrern folgende Frage gehört, die sie im Namen der Rischonim gestellt haben: «Was bedeutet Dwar Haschem (das Wort des Allmächtigen)?» Man sollte meinen, die Frage ist müßig: wir haben doch die mündliche und die schriftliche Tora, die niedergeschrieben wurden,- und das ist gerade Dwar Haschem. Wie geben wir aber das Wort des Allmächtigen wieder? Die Antwort besteht darin, dass die Tora, das Verständnis der Tora, das Leben nach der Tora vom Vater an den Sohn und vom Großvater an den Enkelsohn weitergegeben werden. Das sind Gespräche und das Leben unserer Großväter und Großmütter…

Vielen Baalej-Tschuwa ist es unglücklicherweise nicht beschieden worden, die Tora von Zuhause mitgegeben bekommen zu haben. Die Geringschätzung des Materiellen und die Liebe zum Geistigen hat der Mensch sich aber am ehesten zu Hause angeeignet, von seiner Mutter. Woher hatte sie diese Eigenschaft wiederum? Sie hat diese ebenfalls von ihrer Mutter weitergereicht bekommen. Dank ihr ist der Sohn groß geworden, ist er machte Tschuwa geworden und begann Tora zu studieren und zu lehren.

Das Haus ist der Ort, an dem die Tora weitergegeben wird. Es gibt das Gebot der Kindererziehung. Das jüdische Gesetz sagt in dieser Hinsicht Folgendes: wenn das Kind Schma sagen kann und wenn es den Lulaw schütteln kann, dann kauft man ihm einen Lulaw. Es gibt weiterhin einen tiefer reichenden Aspekt, nämlich den Teil der Erziehung, der noch vor der Zeit beginnt, wenn das Kind etwas selbst tun kann. Es geht darum, dass das Kind die Atmosphäre zu Hause in sich aufnimmt. Die Atmosphäre, in der man Segenssprüche ausspricht und Schma mit Liebe und Ehrfurcht sagt…

Eine schreckliche Situation ist es, wenn, G-tt bewahre, eine Generation Tschuwa gemacht hat, aber die Kinder vom Weg abgekommen sind… In unserer Generation ist es leider sehr leicht vom Weg abzukommen, bei der Riesenanzahl von Versuchungen, die es heutzutage gibt, aber man kann sich doch zu Hause nicht einsperren… Der Satan hat aber auch einen Weg gefunden, wie er sogar in ein geschlossenes Haus eindringen kann – durch den PC-Monitor und durch den Telefonhörer… Wir wollen, dass unsere Kinder nach der Tora erzogen werden und danach leben, und dies ist eine äußerst schwierige Prüfung. Den ganzen Schmutz, den es nur auf dieser Welt gibt, kann der Mensch auf seinem Bildschirm zu sehen bekommen, indem er lediglich auf ein paar Knöpfe drückt. In unserer Welt ist es schwer, die Wahrheit zu wählen und der böse Trieb stellt immer wieder Hürden für uns und unsere Kinder auf. Die Werbung aller Schönheiten dieser Welt kommt uns aus Zeitungen und Zeitschriften entgegen und es ist schwer sich davon abzugrenzen. Tatsache ist, dass wir ständig unter dem Beschuss des bösen Triebes stehen. Aber was können wir dem entgegensetzen? Ein stabiles jüdisches Zuhause.

Der Bau des jüdischen Hauses beginnt mit den Beziehungen zwischen den Eltern. Die Richtigkeit dieser Beziehungen bedeutet, dass die Schechina im Haus weilt. Und wenn die Schechina im Haus gegenwärtig ist, entflieht so einem Haus der ganze Ekel.

Die Frage der Kindererziehung hängt damit zusammen, ob es Schalom bajt unter den Eltern gegeben hat, noch vor der Geburt der Kinder. Es ist wichtig, dass eine gute Atmosphäre herrscht, dass es den Kindern gut geht. Wenn die Beziehungen gut sind, wenn die Gesichter der Menschen das Licht von Liebe und Gutherzigkeit ausstrahlen, dann kommen Kontakt und Nähe zustande, mit denen die Tora und die Liebe zu ihren Geboten weitergegeben werden.

Wenn das Kind spürt, dass es weniger als andere geliebt wird, hat seine Erziehung ein vollkommenes Fiasko erlitten. «Papa und Mama lieben mich nicht, und das, was sie sagen, sagen sie mir zum Nachteil und nicht zum Vorteil…» Wenn das Kind spürt, dass es geliebt und geschätzt wird, ist es imstande, das Wort der Tora von den Eltern entgegenzunehmen. «Papa erzählt über den Auszug aus Ägypten und es ist für mich sehr interessant». Wenn Papa davor, während der Reinigung des Hauses vor Pessach, seine Kinder jedoch einige Male geschlagen hat (man muss doch das Chametz aus der Wohnung herausbringen), empfindet das Kind, dass es nicht geliebt wird. «Was man mir sagt, alle ihren Erzählungen sind nicht für mich; das ist alles, um mich unter Druck zu setzen, mich auszunutzen…» Diese Reaktion kann für Kinder ein Grund sein, die Straße dem Zuhause vorzuziehen.

Der Allmächtige hat uns mit einer großartigen Eigenschaft beschenkt, mit der Liebe zu den Kindern. Weswegen hat er uns diese Fähigkeit gegeben? Jedes Tier kümmert sich um seinen Nachwuchs, bis zu dessen bestimmten Alter. Für den Menschen bedeutet dies aber etwas viel Wichtigeres. Worin unterscheidet sich ein Tier von einem Menschen? Der Mensch kann mit den Worten „meine Vorfahren“ etwas anfangen, Tiere kennen diesen Begriff nicht, sie haben keine Verbindung mit älteren Generationen.

Die Liebe zu den Kindern und den Enkelkindern, die uns beiwohnt, ist das Werkzeug, mit dessen Hilfe wir ihnen die Tora, die Liebe zu guten Taten und den Glauben weitergeben können… Deswegen, wie man Lehrer Rav Jakov Friedman sagte, muss man Kinder liebhaben…

Was in der Sowjetunion geschehen ist, ist die totale Missachtung von solchen Begriffen wie „Zuhause“ und „Familie“. Ich rede jetzt nicht nur über ein jüdisches Zuhause, sondern über eine gewöhnliche Familie, auch eine nichtjüdische Familie — alles war bis auf den Grund zerstört… Für uns soll die Tatsache von prinzipieller Bedeutung sein, dass das Zuhause und die Familie eine Grundlage für die Übergabe der Tora an die ganze nachfolgende Generation bilden, und dass wir ohne ein jüdisches Zuhause keine Tora weitergeben können.

Die erste Grundlage ist also, wie wir bereits gesagt haben, die Liebe zu seiner Familie und zu seinen Kindern.  Was heißt lieben? Rav Elijahu Dessler hat folgende interessante Herangehensweise: der Mensch kann durchaus Hähnchen oder Fisch lieben, aber er kümmert sich nicht um sie – er isst sie einfach auf. Auf diese konsumfreundliche Art kann man aber seine Familie nicht „lieben“.

Was ist Liebe? Der Mensch wünscht dem anderen etwas Gutes, er tut etwas, damit es seinem Nächsten gut geht, er macht es nicht für sich selbst, sondern er macht es für den Anderen. Darin besteht der Sinn der Aussage „We ahawta le reecha kamocha“ – Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Es steht doch nicht geschrieben: «Iss ihn auf!», sondern mach dir darüber Gedanken, was man ihm Gutes tun kann. Das ist der erste Grundstein für den Bau eines jüdischen Hauses – es so zu machen, dass es dem Nächsten gut geht. Und Rabbi Akiwa sagt, dass dies eine große Regel der Tora ist, hinter der sehr viel steckt. Je näher der Mensch einem ist, desto mehr muss man ihn lieben. Alle Juden sind einer dem anderen nahe stehend, man darf aber nicht vergessen, dass Ehefrau und Kinder die allernächsten Menschen sind, die man mehr als alle anderen lieben soll. Es gibt Menschen, die den Brauch haben, zu allen Menschen gut zu sein, außer zu ihren nahen Verwandten – sie sind gut nach außen. Sie kümmern sich um andere, helfen den anderen und zu Hause sind sie der Meinung, dass man nicht geben, sondern nehmen muss, dass andere sie bedienen sollen und nicht sie die anderen…

Es gibt solche Begriffe wie Geduld und Toleranz, in der heiligen Sprache – sawlanut. So habe ich zum Beispiel viele Jahre bei meiner Großmutter gelebt. Meine Großmutter hatte ein schweres Leben, sie hat zwei Ehemänner verloren — den einen im Bürgerkrieg und den anderen zu Stalins Zeiten. Das hat sich auf ihre Nerven alles andere als förderlich ausgewirkt und da haben ihre Nerven – auch wenn ich ihr einziges Enkelkind und ihr Ein und Alles war, schon mal versagt. Manchmal habe ich ihr auch entgegnet, aber sie hat es geduldet. Warum? – Sie hat mich sehr geliebt… Man soll tolerant sein können angesichts der Fehler anderer Menschen.

Sind wir angesichts unserer eigenen Fehler tolerant? Oder haben wir keine? Wir können andere Menschen anschreien, dabei müssen wir uns selbst anschreien und die Fehler anderer Menschen tolerieren können.

Es gibt viele schwierige Situationen in jedem Haus. Zum Beispiel möchte der Mann etwas essen und die Frau ist beschäftigt und kann gerade nichts für ihn kochen. Oder der Mann konnte nachts nicht schlafen, und da schreien auch noch die Kinder. Wie kann man damit leben? All diese alltäglichen Unwägbarkeiten können sich sehr leicht in das Gehinom verwandeln. Wenn wir ein richtiges jüdisches Zuhause aufbauen wollen, sollen wir Geduld lernen.

Wodurch unterscheidet sich ein Kind von einem Erwachsenen? Ein Kind sieht nur sich selbst. Es gibt Menschen, die bis zum hohen Alter Kinder bleiben – sie sehen nur sich selbst: «Alle um mich herum müssen mich bedienen, alle müssen es mir recht machen». Das heißt awoda sara (Götzendienst), wo der Mensch selbst oder, genauer gesagt, seine materiellen Gelüste sich als Götzen präsentieren. Es steht auch im Buch Sohar: «Wenn sich der Mensch ärgert und zornig das Geschirr zerschlägt, dient er awoda sara. Man muss lernen, andere Menschen zu tolerieren. Das ist schwer, insbesondere wenn der Mensch als Einzelkind in der Familie aufgewachsen ist, von allen geliebt, von allen verwöhnt.

Wir haben nun zwei Ausprägungen der Liebe definiert: sich um den anderen zu kümmern und den anderen zu tolerieren.

Wir möchten unsere Kinder so erziehen, dass sie dem Allmächtigen dienen, dass die Jungen und Mädchen gerechte Jehudum werden. Und wir haben keine andere Methode es ihnen beizubringen, als ihnen ein persönliches Beispiel zu geben. Wie kann man den Kindern beibringen, dass HaSchems Wille uns so wichtig ist? Wenn Papa und Mama nach Hause kommen und es ihnen dabei überhaupt nicht auf HaSchems Willen ankommt, sondern nur auf das, was sie persönlich wollen, wenn ihnen ausschließlich weltliche Wünsche das „Allerheiligste“ sind, dann nehmen das die Kinder unbedingt wahr. Sogar wenn dabei über G-ttesfurcht und über die Tora gesprochen wird, spüren die Kinder, dass es lediglich Phrasen sind und das richtige Leben in Wirklichkeit irgendwie anders ist…

Jetzt kommt der nächste Schritt. Angenommen, wir haben bereits normale menschliche Beziehungen in der Familie aufgebaut – dies nimmt Jahre in Anspruch und man braucht dafür viele Kräfte, man muss weinen, beten und HaSchem um Hilfe bitten. Es kommt manchmal vor, dass wir normale Familien selbst gar nicht erlebt haben und wir haben es wirklich schwer. Angenommen, wir sind dennoch auf diese Stufe herangereift: wir haben eine gute psychologische Atmosphäre zuhause, wir verstehen uns gut mit der Ehefrau und den Kindern. Was kommt weiter? Wir brauchen mehr als einfach normale menschliche Beziehungen – wir wollen, dass das Haus zu dem Ort wird, wo die Anwesenheit von HaSchem spürbar ist. Und hierfür soll sich der Menschen daran gewöhnen, seinen Nächsten diwrej Tora (Worte der Tora) zu sagen.

Unsere Weisen lehren uns: man muss von seinem Level eine Stufe hinabsteigen (eine Stufe, nicht zwei) und auf dieser niedrigeren Ebene heiraten. Der Mann soll das Familienoberhaupt sein, er muss die Familie in geistiger Hinsicht anführen — und diese Situation ist richtig. Das ist nicht so einfach. Das Familienoberhaupt soll geistige Inhalte ins Haus bringen. Nicht, dass es soweit kommt, dass er Jeschiwa und Kollel hat, wo er sich Schiurim anhört und wo er ein geistiges Leben führt, und er sich zuhause dann mit ganz anderen Sachen beschäftigt. Zuhause gibt es viel zu tun, aber bei alledem soll es zuhause ein geistiges Gerüst geben. Darin besteht unsere Verpflichtung – Geistiges in unsere Häuser zu bringen. Dass wir die Tora, die wir lernen, in der wir steigen, in unsere Häuser bringen — so, dass unsere Nächsten die Tora aufnehmen, dass sie ihnen angenehm ist, und dass die Tora für sie ein selbstverständlicher Inhalt des Hauses wird. Worte der Tora am Tisch sollen kein Gewaltakt werden: wann ist nun Papa mit seiner Rede zu Ende, wann hört nur diese Tortur auf?! Sollen es auch nur drei Minuten sein! Wenn jemand länger reden kann, und wenn Frau und Kinder sich das mit offenen Mündern und feurigen Augen anhören werden, — gerne.

Wenn am Tische erwachsene Kinder sitzen – einer ist fünfunddreißig, der andere ist dreißig, dazu noch Kinder und Enkelkinder, die jünger sind, – wie kann man es so einrichten, dass es für alle interessant ist, dass alle zuhören? Das ist eine sehr schwere Aufgabe. Man muss mit ihnen der Reihe nach sprechen – zuerst mit den Jüngeren, dann mit den Älteren.

Wir sind verpflichtet, Geistiges in unsere Häuser zu bringen, damit das Familienoberhaupt die Weisheit aus dem Bejt Midrasch auf den Wegen von Liebe und Toleranz in das Haus hineinträgt. Oftmals gelangen sehr tiefsinnige Begriffe nicht durch die Kraft des Wortes ins Haus. Wenn Liebe in der Familie herrscht, wenn Mann und Frau einander verstehen und einander Mitgefühl entgegenbringen, dann verstehen unsere Kinder und umso mehr unsere Frauen anband der kleinsten Mimik, was gut und was schlecht ist. Nicht immer muss man darüber schreien. Die Kinder wissen sehr gut, wann Papa unzufrieden ist, auch wenn er kein Wort gesagt und keinen Blick in ihre Richtung geworfen hat. Nicht immer ist ein Gespräch erforderlich.

Wir müssen die Spiritualität, die in uns ist, in unsere Häuser hineinholen, wir müssen sie vermehren. Mehr als das – es geht darum, dass der Mensch in sein Haus die Art Spiritualität hineinbringt, die an sich höher ist, als das Haus, damit das Haus zu einem „Haus der Versammlung von Weisen“ wird.

Es sei auf ein weiteres besonderes Thema hingewiesen, das damit verbunden ist. Wir wollen in unseren Kindern die Eigenschaft zur Unterordnung gegenüber der Tora und zur Unterordnung unseren Weisen gegenüber erziehen. Das erreicht man nur durch eine einzige Methode, nämlich durch sein persönliches Beispiel. Wenn der Sohn den Papa sieht, der zu Füßen der Weisen sitzt und den Worten der Tora mit Leidenschaft lauscht, ist das die allerbeste Lektion. Nicht wie der Papa redet, sondern wie der Papa zuhört, wie der Papa seine Lehrer respektiert.

Soweit in Kürze zu dem, was in unserer Mischna über den Bau des jüdischen Hauses gesagt wird.

Die Übersetzung aus dem Russischen von M. und R. Vorobiev


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